Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Mauer erreicht, und sie lehnte sich darauf, wobei sie die Arme über der Brust verschränkte. »Es muß herrlich sein, in schöne Lokale zu gehen und allerlei Aufregendes zu erleben – so wie Mr. Youngblood, zum Beispiel.«
»Der hat fünf Jahre im Zuchthaus gesessen«, sagte Chavasse. »Und wenn sie ihn erwischen, muß er weitere fünfzehn Jahre absitzen – vielleicht jetzt noch mehr. Das ist nicht sehr roman tisch.«
»Ich meine doch vorher«, sagte sie ein wenig gereizt. »Er war doch Schmuggler, nicht?«
»Unter anderem.«
»Ich habe letztes Jahr in einer Sonntagszeitung einen Artikel über ihn gelesen«, sagte sie. »Darin stand, er ist ein moderner Robin Hood.«
»Das ist schon möglich. Kommt drauf an, wie der wirkliche Robin Hood gewesen ist.«
»Aber es ist wirklich wahr«, rief sie. »Sie haben eine alte Dame interviewt, der man ihre Wohnung wegnehmen wollte, weil sie die Miete nicht bezahlen konnte. Als Mr. Youngblood davon erfuhr, hat er ihr hundert Pfund geschenkt. Dabei hatte er sie nie im Leben gesehen.«
Chavasse hätte ihr erzählen können, wie die Sache wirklich gewesen war. Kurz zuvor hatten Youngblood und seine Leute einen Geldtransport überfallen und zweiundreißigtausend Pfund erbeutet. Die beiden Männer, die den Transport bewacht hatten, hatte man ins Krankenhaus bringen müssen, den einen mit einem Schädelbruch. Doch er wußte, daß es keinen Sinn hatte, ihr das zu sagen.
Er grinste. »Er ist schon ein toller Bursche.«
Sie nickte. »Ich hoffe nur, sie erwischen ihn nicht und er kommt aus dem Land hinaus – und Sie auch.«
»Haben Sie schon öfter Leute wie uns hier versteckt?« fragte er.
»In diesem Jahr ungefähr ein halbes Dutzend.«
»Waren darunter vielleicht George Saxton und Ben Hoffa, Harrys Freunde?«
Es war, als falle plötzlich ein Vorhang herab, und als sie ihn ansah, waren ihre Augen wieder völlig leer und ihr Gesicht
ohne jeden Ausdruck. »Ja, die waren hier.«
»Wie lange?«
Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie langsam: »Ich weiß nicht. Ich hab sie nicht wegfahren sehen.«
Chavasse spürte plötzlich einen kalten Klumpen im Magen, und seine Kehle schien ganz trocken. »War das irgendwie ungewöhnlich?«
Wieder zögerte sie einen Moment. »Ja … Die anderen waren alle zwei oder drei Tage hier. Ich habe sie immer wegfahren sehen. Mein Stiefvater hat sie mit dem Auto weggebracht.«
»Sie haben Saxton und Hoffa genau wie uns nachts unten an der Straße abgeholt und zum Hof gebracht?«
»Ja, natürlich.«
»Und Sie haben sie später beide nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
Sie standen da und starrten einander an. Tiefe Stille herrschte; nur das Heulen des Windes war zu hören.
»Was ist mit ihnen geschehen, Molly?« fragte Chavasse.
»Ich weiß nicht. Ich schwöre bei Gott, ich weiß es nicht.«
»Ich habe fast das Gefühl, Sie wollen es nicht wissen, stimmt’s?«
Sie erschauerte, als durchzucke sie ein schrecklicher Gedan ke, und er packte sie sanft an den Armen. »Schon gut, Molly – haben Sie keine Angst. Sie können sich auf mich verlassen.«
Er ging weiter und blieb nach ein paar Schritten stehen und drehte sich um. »Kommen Sie nicht mit?«
»Ich muß noch zu den Schafen.« Sie verschränkte die Arme, damit er nicht sah, wie ihre Hände zitterten. »Ich komme später.«
Er sagte nichts und ging mit düsterem Gesicht den Hügel hinunter. Was sie angedeutet hatte, war so ungeheuerlich, daß er es fast nicht glauben konnte, doch andererseits – irgendeinen dunklen Verdacht hatte er vom ersten Moment an gehabt, als er Sam Crowther und seinen unheimlichen Schatten sah. Ihm fiel ein, wie sich letzte Nacht der Knopf an ihrer Tür lautlos ge dreht hatte, und eine Gänsehaut überlief ihn.
Als er über die Mauer kletterte, schrak er zusammen. Young blood stand vor ihm.
»Irgendwas entdeckt?« fragte Chavasse.
Youngblood schüttelte den Kopf. »Nicht mal eine Schrotflin
te. Aber ich weiß jetzt, wo wir sind. Ich habe einen alten Briefumschlag gefunden. Dies ist die Wykehead-Farm, in der Nähe von Settle.« Er runzelte plötzlich die Stirn. »Was hast du denn? Stimmt irgendwas nicht?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Chavasse. »Ich hab mich eben ein bißchen mit Molly unterhalten, und ich werde das dunkle Gefühl nicht los, daß in dem Holzschuppen etwas Grauenhaftes verborgen ist.«
»Was soll das heißen, verdammt noch mal?«
»Das kann ich dir jetzt
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