Geisterlicht: Roman (German Edition)
hin.
Aidan sparte sich eine weitere Bemerkung und tippte stattdessen ein bisschen auf seiner Tastatur herum, um Scott zu zeigen, dass er quasi jede freie Minute zum Arbeiten nutzte. Leider musste er die Buchstaben sofort wieder löschen, weil sie nicht den geringsten Sinn ergaben.
Dann klopfte es an die Tür, Aidan rief »Herein«, und schon stürmte Dawn ins Zimmer. Die roten Haare wirbelten wie zuckende Flammen um ihren Kopf, und während sie durch das große Zimmer auf ihn zueilte, redete sie wie immer ohne Punkt und Komma. Seinen Gast, der seitlich neben dem Schreibtisch stand, schien sie zunächst gar nicht zu bemerken. Scott hingegen starrte Dawn wie vom Donner gerührt an.
Geduldig ließ Aidan ihre temperamentvolle Umarmung über sich ergehen. Dabei fragte er sich wie jedes Mal, ob sie wohl alle ihre Bekannten so begrüßte. Er hoffte es. Über Dawns Schulter hinweg wanderte sein Blick zur offenen Tür. Dort stand Fiona. Sie war leichenblass und ließ ihren Blick stumm durch den Raum wandern. Von den deckenhohen Regalen an den Wänden zu seinem Schreibtisch aus dunklem Holz, weiter zum Fenster und wieder zu den Regalen. Dabei machte sie ein Gesicht, als stünde sie in einer Folterkammer und nicht in einem etwas altertümlichen, aber durchaus nicht schreckeneregenden Studierzimmer.
»Hallo Fiona, geht es dir nicht gut?«, erkundigte er sich besorgt, als Dawn ihn wieder freigab. Im selben Moment, in dem er die Worte aussprach, erinnerte er sich, dass er ihr diese Frage nicht zum ersten Mal stellte. Vielleicht ließ sie nicht der Anblick seines Arbeitszimmers erblassen, sondern seine Anwesenheit?
»Ich habe zwar Fiona dreiundzwanzig Jahre nicht gesehen«, erzählte Dawn munter, »aber ich glaube, sie ist ein bisschen schüchtern. Sie meinte, wir sollten nicht einfach so bei dir hereinschneien, aber ich habe ihr gesagt, dass wir uns ja gut kennen und darum …« Sie stockte, als sie plötzlich Scott bemerkte, der sie immer noch fasziniert ansah. »Oh. Du hast Besuch, Aidan.« Die Anwesenheit des Fremden schien sie ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Eine leichte Röte zog über ihren Wangen.
»Das ist Scott. Ein guter Freund.« Dass Scott gleichzeitig sein Lektor war, behielt er lieber für sich und hoffte, dass Scott so diskret war, den Grund für seinen Besuch auch nicht zu erwähnen – die Tatsache nämlich, dass Aidan während der vergangenen sechs Wochen nicht mehr als fünfzehn, genaugenommen vierzehneinhalb Seiten geschrieben hatte.
Natürlich war Scott viel zu clever, um nicht zu begreifen, was in seinem besten Freund vor sich ging. Er reichte Dawn mit einem freundlichen Lächeln die Hand.
Aidan sah schon wieder Fiona an, die sich immer noch umschaute, als hätte sie noch nie eine Bücherwand, einen Schreibtisch oder eine schöne Aussicht gesehen. Und jetzt starrte sie ihn an. Dachte sie an den Kuss in der Küche ihrer Schwester? Ihm selbst war es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, diesen wunderbaren, verwirrenden Moment zu vergessen. Obwohl er sich wirklich bemühte.
Ihre Augen waren noch grüner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Grüner als die Hügel Schottlands. Und leuchtender als der Loch Sinclair an einem sonnigen Tag. Doch sie schaute ihn mit diesen wunderschönen Augen so erschrocken an, als hätte sie etwas gesehen, das ihr Angst machte.
Entschlossen ging er zu ihr und reichte ihr die Hand. Sie legte zögernd ihre eiskalten Finger in seine Handfläche. Obwohl es sich nur um einen Händedruck handelte, blieb ihm für einen kurzen Moment die Luft weg. Sein Blick verirrte sich zu ihren Lippen, und es kostete ihn Mühe, ihn wieder von ihnen loszureißen. »Herzlich Willkommen auf Sinclair Castle«, stieß er schließlich hervor.
»Danke«, flüsterte sie und entzog ihm ihre Hand. »Ich war schon einmal hier. Im Traum.«
Er starrte sie mit gerunzelter Stirn an. »Wie meinst du das?«
Erschrocken, so, als würde sie erst jetzt begreifen, was sie da gerade gesagt hatte, schüttelte Fiona den Kopf. »Ich wollte sagen, es ist wirklich traumhaft hier.« Sie eilte ans Fenster. »Und so eine wunderschöne Aussicht! Der See ist zauberhaft. Und es gibt sogar einen Bootssteg. Und all das Grün …«
Irritiert betrachtete Aidan die schöne Frau, die sich manchmal so seltsam verhielt, und stellte ihr dann Scott vor. Sein Freund schien sich nur ungern von Dawn ablenken zu lassen.
Nachdem sie Scott freundlich begrüßt hatte, räusperte Fiona sich und sah Aidan entschlossen in die
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