Geisterlicht: Roman (German Edition)
war zu schwierig, beim Reden in Dawns hoffnungsvolle Augen zu sehen. Vielleicht würde das Licht darin verlöschen, wenn sie die Wahrheit über Aidan erfuhr. Mit dem Rücken zu Dawn, die ihr in die Küche gefolgt war, fuhr Fiona fort: »In den Büchern in Aidans Bibliothek habe ich auch etwas über die MacNaughtons erfahren, das dich auch interessieren wird.« Sie maß den Tee ab.
»Ach ja?« Hinter ihr klapperte ihre Schwester mit den Tassen.
Fiona lehnte sich gegen den Herd und sah zu, wie der Wasserkessel anfing zu dampfen. »Es geht um Arthur MacNaughton, einen Vorfahren Aidans. Er lebte im 17. Jahrhundert, offenbar zur gleichen Zeit wie Catriona. In den Büchern stand …«
Erschrocken fuhr Fiona herum, als ein lautes Heulen erklang. Es hörte sich an wie ein Sturm, der durch das Innere des Hauses fegte. Von der anderen Seite der Küche starrte Dawn sie mit weit aufgerissenen Augen an.
»Was ist das?«, flüsterte Fiona.
»Ich weiß nicht. Vielleicht zieht ein Unwetter auf.«
Beide wandten sich gleichzeitig dem Fenster zu. Draußen begann es dunkel zu werden, aber der Himmel hatte aufgeklart und schimmerte in einem samtigen Blau, auf dem ein paar kleine Wölkchen dahinsegelten. Rein gar nichts deutete auf ein Gewitter oder einen Sturm hin. Dennoch pfiff und heulte es im selben Augenblick wieder. Und das noch lauter als beim ersten Mal.
Dann sprang die Tür zum Flur auf, ein Wirbel aus bläulich schimmerndem Rauch zeigte sich im Türrahmen, und inmitten dieser durchscheinenden Spirale war deutlich Catrionas Gestalt zu erkennen. Sie legte den Kopf in den Nacken und stieß einen so schmerzerfüllten Schrei aus, dass es Fiona kalt den Rücken hinunterlief.
»Arthur!«, kam es aus Catrionas weit aufgerissenem Mund. »Arthur MacNaughton!«
Der Spuk war ebenso schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Der blaue Rauch löste sich auf, Catrionas Umrisse verschwanden und der Wind hörte auf, zu heulen. Fiona schaute ihre Schwester fragend an.
»Hat sie so was schon mal gemacht?«
Dawn schüttelte stumm den Kopf. Sie war kreidebleich. »Aber hier hat auch noch nie jemand diesen Namen genannt.«
Arthur MacNaughton. Fiona wagte kaum, den Namen zu denken. Arthur MacNaughton musste Catriona etwas so Furchtbares angetan haben, dass es sie dazu gebracht hatte, ihn und seine Nachfahren mit einem Fluch zu belegen. Bis zum heutigen Tag schien die Erinnerung an Arthurs Tat ihre Urahnin mit einem entsetzlichen Schmerz zu erfüllen. Fiona meinte, ihren Kummer und die Bitterkeit förmlich mit Händen greifen zu können.
»Können wir vielleicht auswärts essen? Ich muss dir etwas erzählen. Und ich glaube, das geht hier im Haus nicht.« Fiona sah ihre Schwester fragend an.
»Natürlich.« Dawn nickte eifrig. »Lass uns gehen.«
Sie verließen das Haus so eilig, als wären sie auf der Flucht.
Zehntes Kapitel
»Ein Fluch? Die MacNaughton-Männer sind verflucht?« Über ihre dampfenden Teller mit Lammkeule und Minzsoße hinweg starrte Dawn ihre Schwester mit weit aufgerissenen Augen an.
Fiona nickte. »Catriona hat Arthur MacNaughton verflucht, und mit ihm alle seine männlichen Nachfahren.« Als sie Arthurs Namen aussprach schaute sie unwillkürlich zur Tür, doch nichts geschah.
Dawn hatte erklärt, sie habe Catriona noch nie außerhalb des Hauses der Abercrombies gesehen. Außerdem gingen die Schwestern davon aus, dass ihre Urahnin nirgendwo auftauchen würde, wo sich unzählige fremde Menschen aufhielten. Im »The Lamb and the Crown«, dem Pub am Ortseingang von Kelton, schien sich an diesem Abend die halbe Bevölkerung des Dörfchens versammelt zu haben. An der Theke tummelte sich ein gutes Dutzend Männer, die bis auf zwei Ausnahmen allesamt karierte Hemden trugen. Alle tranken Bier und redeten lebhaft durcheinander.
An den Tischen saßen schweigsame ältere Paare, ein jugendliches Liebespaar, das die Finger nicht voneinander lassen konnte, und ein paar tuschelnde Frauen. Dawn hatte einigen der Gäste freundlich zugenickt, aber sie schien keine engeren Kontakte zu den anderen Dorfbewohnern zu haben, denn außer mit einem flüchtigen Gruß reagierte niemand auf ihr Eintreten. Dawn und ihre Mutter waren von Anfang an so etwas wie Außenseiterinnen im Dorf gewesen.
Fiona spürte ihr Herz wie einen Stein in der Brust. Offenbar war es noch fast so wie vor über dreihundert Jahren – die Abercrombie-Frauen gehörten einfach nicht dazu. Sie waren anders, und ihre Nachbarn bemerkten das. Nur dass niemand sie mehr auf den
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