Geisterlicht: Roman (German Edition)
er hatte schon die Tür hinter sich geschlossen. Er konnte die Insel nur gemeinsam mit ihr verlassen, denn sie waren wie immer gemeinsam mit dem Boot übergesetzt. Also würde er wohl am Ufer, wo das Boot lag, auf sie warten.
Dennoch ließ sich Catriona Zeit, bevor sie ebenfalls das Häuschen verließ. In der Zinnschüssel neben dem Bett wusch sie sich das Gesicht und kämmte sich vor dem kleinen Spiegel, der darüber hing, die Haare. Dann schaute sie sich ein letztes Mal um. Sie wusste nicht, ob sie es über sich bringen würde, allein hierherzukommen, aber der Gedanke, dass sie es tun konnte, wenn sie wollte, wirkte seltsam tröstlich. Nachdem sie die Tür sorgfältig hinter sich abgeschlossen hatte, ging sie zum Ufer. Das Boot schaukelte im Licht des zunehmenden Mondes auf dem silbrig schimmernden Wasser. Von Arthur war weit und breit nichts zu sehen.
Suchend schaute sie sich um. Da entdeckte sie seinen Kopf schon weit von der Insel entfernt im Wasser. Er strebte der dunklen Silhouette der Burg entgegen, die über dem See auf ihrem Hügel thronte.
Erschrocken presste Catriona die Hand auf den Mund. Jeder in der Gegend wusste, dass es im Loch Sinclair gefährliche Strudel gab, die schon mehr als einen unvorsichtigen Schwimmer in die Tiefe gerissen hatten. Und er war schon so weit von der Insel entfernt, dass es keinen Zweck hatte, zu versuchen, ihn mit dem Boot einzuholen. Endlich fand sie ihre Stimme wieder.
»Arthur!«, schrie sie in die dunkelblaue Nacht. »Komm zurück. Du darfst nicht ans Ufer schwimmen, das ist gefährlich!«
Wieso tat er das? Nur weil er nicht ein letztes Mal mit ihr zusammen in dem kleinen Boot zurückrudern wollte? Sicher hätte es den Abschiedsschmerz noch verstärkt, aber sie wären beide stark genug gewesen, es zu ertragen.
Arthur reagierte nicht auf ihren Schrei. Langsam und stetig entfernte sich sein dunkler Kopf in Richtung Land. Da begriff sie: Er suchte die Gefahr. Vielleicht wollte er sich selbst bestrafen, weil er sie entgegen all seinen Versprechen im Stich ließ. Vielleicht hoffte er aber auch, dass der See ihn verschlang. Doch das durfte er nicht riskieren! Wer sollte sich dann um Rodina kümmern? Entweder er hatte das in seinem Schmerz vollkommen vergessen, oder er wusste, dass in diesem Fall sein Vormund für sie da sein und für sie sorgen würde.
Verzweifelt biss Catriona sich in die Fingerknöchel. Der körperliche Schmerz erleichterte ihr die seelische Pein und die Angst ein wenig. Aber es schien ihr immer noch, als würde sie Gewichte aus Blei auf ihren Schultern tragen, während sie eine kleine Ewigkeit dastand und mit brennenden Augen den kleinen dunklen Punkt auf dem im Mondlicht schimmernden Wasser anstarrte. Endlich erreichte er das Ufer, und die Umrisse seiner breiten Schultern und gleich darauf der Rest seines Körpers tauchten auf dem Wasser auf, während er an Land watete.
Sie atmete auf und ging mit zitternden Knien zum Boot, um ebenfalls an Land zurückzukehren, in ihr altes Leben – ein Leben ohne Arthur.
Mond, Sterne und Sonne tanzten abwechselnd vor samtigem Dunkel und hellem Blau. Die Tage gingen ins Land, und Catriona bewegte sich mit langsamen, traurigen Schritten durch ihren Alltag. In einer dunklen Neumondnacht stand sie wieder einmal am Ufer des Sees und blickte hinüber zur Insel. Die Sehnsucht zerrte wie mit tausend dünnen Fäden an ihrem Herz. Langsam bückte sie sich, löste das Seil, mit dem das Boot am Steg festgebunden war, stieg ein und überquerte das Wasser.
Im Kerzenschein der kleinen Laterne, die immer noch am Ufer stand, ging sie zum Sommerhaus. Hier stellte sie das Licht auf dem Tisch ab, zündete das Feuer im Ofen an, rollte sich auf dem Bett zusammen und weinte still vor sich hin.
Als sie plötzlich vor dem Haus Schritte hörte, fuhr sie hoch. Furcht und Hoffnung kämpften in ihrer Brust miteinander, während sie mit angehaltenem Atem zur Tür starrte. Dann stand er als dunkle Silhouette im Rahmen. Seine breiten Schultern, die schmalen Hüften, die langen Beine – sie erkannte ihn sofort.
»Arthur«, hauchte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. »Was machst du hier?«
Mit wenigen Schritten war er bei ihr und riss sie in seine Arme.
»Ich musste dich sehen! All die Wochen habe ich gewartet, dass du das Boot nimmst, um hierherzukommen. Ich wusste, dass die Sehnsucht dich irgendwann auf unsere Insel treiben würde. Endlich! Endlich!« Mit seinen Lippen suchte er ihren Mund und küsste sie
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