Geisterstadt
brennenden Gebäude zurückgelassen hatten wie die Römer, die ein paar Christen in die Löwengrube warfen. Also warum zum Teufel hätten sie ihr dann erst noch irgendeine Maschine in die Tasche stecken sollen?
Bei dem Gedanken musste sie grinsen. Oh ja! Die Oozer taten definitiv ihre Wirkung. Ihr Magen hüpfte ein bisschen, ihr Blut wurde wärmer und dicker und rollte träge und geschmeidig durch ihre Adern.
»Tülpi?«
»Hm?«
»Guckst jetzt mal nach, was das für ’n Piepen ist?«
»Hä? Ach so, ja. Okay.«
Ihr Bein schmerzte jetzt kaum noch. Sie spürte immer noch die zerfetzten Ränder der Jeans an der Wunde, aber es tat nicht mehr weh. Super.
Natürlich hatte sie so auch ein bisschen das Gefühl, auf Beinen herumzulaufen, die es gar nicht wirklich gab. So als würde sie schweben. Schweben war auch super. Sie fühlte sich anmutig, wie sie so durch die dichte, seidige Luft, die sie umhüllte, auf ihre Tasche zuglitt und sie aufs Sofa holte, bevor sie sie öffnete, einfach weil es ihr wie die einzig richtige Lösung vorkam.
Aber was war denn das bloß für ein Ding? Es kam ihr vage vertraut vor. Mehr als vage. Ohne die Oozer hätte sie schneller geschaltet, aber so hielt sie die dicke schwarze Box mit dem grünlichen Gitternetz auf dem LED-Schirm in der Hand und versuchte sich zu erinnern, was sie überhaupt damit wollte.
»Was haste ’n da?«
»Hm? Ach. Ähm ... das ist der Empfänger von Laurens Peilsender.«
Anscheinend konnte er damit nicht allzu viel anfangen; er saß mit verschränkten Armen und erhobenen Augenbrauen neben ihr und wartete anscheinend auf weitere Erklärungen.
»Das ist so ein Aufspürgerät, weißte? Um, äh, Leute zu verfolgen. Man platziert den Sender irgendwo auf ihrem Auto oder wo auch immer, und dann kann man ihre ... Koordinaten hier ablesen. Wo sie ... wo sie eben so sind.« Machte es eigentlich irgendeinen Sinn, was sie da sagte?
»Ah, verstehe.« Er nahm ihr das Ding aus der Hand und drehte es hin und her. Der fette Silberring an seinem Finger blitzte im schwachen Licht auf, das war irgendwie hypnotisch.
Oder vielleicht lag es auch nur daran, dass sie jetzt wirklich langsam abhob. Wunderbare Trägheit legte sich über sie wie ... ach, wie irgendwas Warmes und Klebriges eben, sie wusste nicht, was, und es war ihr auch egal. Sie wusste nur, dass der Raum sich immer wieder um sie drehte, während sie versuchte, die Augen offen zu halten, und dass sie anscheinend keine Knochen mehr im Leib hatte, was ganz unglaublich und wunderschön war.
Lex musste die Frage dreimal stellen, bevor sie ihn überhaupt verstand. »Wen verfolgst du denn gerade?«
»Ach. Einen von - äh.« Ja, ihr Bein tat nicht mehr weh. Aber das gerade hatte sie trotzdem noch gespürt, dieses Kribbeln in den Handgelenken. Magisch erzeugter Schmerz wurde durch Drogen anscheinend nicht gedämpft. Na toll! Das war’s dann auch mit dem halb beschlossenen Mehr-oder-weniger-Plan, sich total die Kante zu geben und dann alles auszuplaudern.
»Einer von diesen Lamaru, ja?« Er drehte das Ding in seinen Händen und drückte auf den Knöpfen herum. »Wie hast du es ihm denn angepinnt?«
Sie lächelte. Ihr Haar war ganz weich, oder wenigstens der Teil, der nicht dreckig und verfilzt war. Es glitt kühl zwischen ihren Fingern hindurch. »Hab ihn zu Boden gerungen. Und mir dabei das Knie verletzt.«
»Und was piepst da hier so rum? Ah, verstehe. Meldet sich, weil es schon zu lange angeschaltet ist.«
»Hm-hm.« Luft strich ihr um die Beine; ihre Jeans rutschten zu einem kleinen Haufen am Boden zusammen, und sie stieg hinaus. Das dauerte eine Weile. Lex half ihr zurück auf die Couch.
»Na los. Du siehst echt todmüde aus, also wollen wir uns mal um dein Beinchen kümmern.«
Während sie ihm zusah, wie er ihre Wunde reinigte und ohne jede Anzüglichkeit verband, durchdrang nur ein einziger Gedanke die wunderbare Ruhe, in der sie dahinglitt, ein Gedanke, den sie so rasch wie möglich beiseiteschob, denn schließlich ruinierte nichts einen guten Rausch so gründlich wie Todesangst.
Wenn die Lamaru nun alle Psychopomps kontrollierten, konnte die Kirche sie nicht mehr benutzen. Und wenn die Kirche die Psychopomps nicht mehr benutzen konnte ... wie sollte sie sich dann noch gegen Geister wehren?
21
Denk dran, nicht nur deine Worte machen dich aus, sondern auch deine Taten. Die Kirche verlangt Wahrhaftigkeit von dir - ebenso wie deine Mitmenschen.
Du und die Kirche. Ein Pamphlet des Ältesten Barrett
Und was
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