Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen
alles war gut.
Dieses Lachen blieb ihm aber im Hals stecken, als er allein am Paketschalter stand und das Telefon klingelte.
„Paketschalter, guten Tach! – Oh, Herr Grothe! … Ja … ja … alle? Auch den Stahlspender? … Okay, bin in drei Minuten oben.“
Sagte es, packte seine Briefmarkenmappe und stellte sich den schweren Markenspender aus dreckig-grauem Stahl oben drauf und rief uns zu:
„Ich muss zum Chef, der will alle meine Marken sehen.“
Peter ging Richtung Treppenhaus und bekam nicht mehr mit, wie seine restlichen Schalterkollegen samt anwesender Kunden sich teilweise schon am Boden wälzten vor Lachen. Alle, aber auch wirklich alle Leute hatten mitbekommen, wie ich vom Schalter 1 aus beim Paketschalter angerufen hatte und mit gar nicht mal so gut verstellter Stimme so tat, als sei ich Betriebsleiter Grothe. Alle hatten es gehört – außer Peter.
Der kam fünf Minuten später wieder runter, riss die Schiebetür zum Paketschalter auf und spielte mit dem Stahlspender Hammerwerfen, dass es nur so schepperte.
„Der denkt jetzt, ich wäre der Volldepp! Wie der mich angeguckt hat, als ich ihm den Eisenklotz auf den Tisch gestellt habe! – WER WAR DAS???“ Jetzt musste ich mutig sein, der Fluch des Peters konnte sonst tödlich werden.
„Ich war’s – dein Ausbilder.“
In seinen Augen sah ich, dass er innerlich auf Mord programmiert, aber eigentlich darauf eingestellt war, dass einer seiner Mit-Azubis der Übeltäter war. Nun aber ging sein Plan nicht auf, wusste er schließlich, dass im Falle meiner Hinrichtung die nächste Beurteilung verdammt schlecht ausfallen würde. Also ließ er es mit einem schmollenden Blick bewenden und am nächsten Tag war alles wieder gut.
Bis auf die Pantoffeln, die er statt Schuhen an den Füßen trug … Er blieb halt: Peter.
Und dann gab es da noch Manuela, die einzige weibliche Azubine. (Hat man auch schon einmal eine männliche Bine gesehen???)
Manuela musste während der kurzen Zeit, in der sie mir zugeteilt war, ein traumatisches Erlebnis überstehen. Der Mann, der dabei die Hauptrolle spielte, war sowieso ihr „bester Freund“. Wenn sie ihn schon zur Tür herein kommen sah, wollte sie gleich weglaufen. Aber, da musste ich als Ausbilder streng sein: Man musste sich in dem Job den Herausforderungen stellen – allen!
Und so überließ ich Manuela erbarmungslos den Wünschen und dem Anblick ihres Lieblingskunden. Er war aber auch scheußlich, dieser Typ! Wie er da so angeschlurft kam in seinen kaputten rostbraunen Kunstlederschuhen, dieser viel zu kurzen, speckigen Polyesterhose, der abgewetzten Billo-Jeansjacke mit dem viel zu knappen T-Shirt über der fetten Bierkugel, dem unvollständigen Gebiss mit den vergilbten Restzähnen, der dicken Warze knapp über der Oberlippe und einer weiteren mitten auf der Stirn und den wahrscheinlich zuletzt zur Feier der Fußballweltmeisterschaft 1974 gewaschenen Haaren, die seitdem auch kein Friseur mehr gesehen hatte. Und schielen tat er auch noch. Aber das musste man politisch korrekt betrachten: Dafür konnte er nichts. Okay, unter diesem Aspekt nehme ich die Warzen auch zurück.
Aber das Gesamtbild blieb – und Manuelas Ekel auch. Und dieser Mann kam nahezu täglich. Immer hatte er irgendwas. Mal wollte er nur eine Briefmarke, die er dann in einzelnen Pfennigstücken bezahlte, welche er in unendlicher Langsamkeit mit seinen abgeknabberten Fingernägeln (Wie können da trotzdem noch schwarze Ränder runter sein?) aus seinem zerfledderten Portmonee kramte. Wenn die achtzig Pfennig dann endlich zusammen waren und Manuela sie angewidert mit einem „Ich brauche sofort Sagrotan!“-Blick im Münzhalter der Kasse einsortiert und einem weiteren „Eat this!“-Blick die Marke in die Durchreiche geworfen hatte, nahm er selbige und leckte sie genüsslich an, klebte sie auf den mit Flecken, deren Ursprung man gar nicht näher kennen wollte, bereits übersäten Umschlag und schob diesen zurück auf unsere Seite, wo meine Auszubildende schon die Pinzette gezückt hatte, mit deren Hilfe sie den Brief verächtlich in den auf dem Boden stehenden grauen Briefbehälter feuerte.
Derlei Begebenheiten gab es jedes Mal, wenn Mr. Schmuddel kam. Es war immer schon schlimm genug, und jedes Mal dachte man, man hätte mit ihm schon alles erlebt, was dieser Planet an ekligen Momenten zu bieten hatte.
Aber dann kam der Tag, an dem Schmuddel zur Höchstform auflief.
Wo auch immer er ES her hatte – er hatte ES. Die
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