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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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in die Besoldungsgruppe A8 kommen , dann musste man doch langsam besondere Leistungen bringen.
    Und so kam es, dass ich eines Tages zu Conrad Wibbel ins Büro kommen musste. Er eröffnete mir frank und frei, dass er überhaupt keinen Bock mehr habe, jeden Morgen die Aufsicht in der Briefeingangverteilung zu machen, und dass jetzt mal die Jüngeren dran wären. Und da ich der einzige Jüngere war:
    „ Glückwunsch! Ab nächsten Montag, fünf Uhr dreißig, ist das dein Job – Du willst ja schließlich auch mal A8 werden!“ Sagte es, grinste mich hämisch an und schickte mich wieder an die Arbeit.
    Briefeingangsverteilung! NEIIIIIN!!!
    Nicht nur, dass halb sechs überhaupts nie nicht die zu meinem Bio-Rhythmus passende Zeit war – nein: Dieser Job bedeutete Psychoterror, und den hochgradig. Denn fortan hatte ich es jeden Morgen – was sage ich: in jeder gottverdammten tiefen Nacht! – mit einem Haufen aufgescheuchter Hühner zu tun, denn die eingehende Post wurde ausschließlich von Frauen verteilt. Und ich mitten drin …
    Ich kannte die Extremfälle schließlich bereits vom morgendlichen Durchqueren des großen Raumes, in dem sie wie das Federvieh auf der Stange vor ihren Verteilregalen saßen, an dessen Ende die Zustellkasse war, von wo aus auch die Schalter mit den Geldmitteln für den Tag versorgt wurden.
    Ein G eschnatter war das jeden Morgen! Conrad Wibbel tat mir echt leid. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände … er selbst sprach gar nicht. Er litt samariterhaft vor sich hin.
    Es g ab vielleicht drei oder vier ältere Damen, die arbeiteten lautlos vor sich hin. Sie lächelten mal, wenn man an ihnen vorbei ging, ansonsten fielen sie nicht weiter auf. Sie waren einfach nur: Lieb.
    Und dann gab es die Marieles, die Anjas und Christines, die Anna-Marias und – das Schmitti.
    Das Schmitti hieß eigentlich Griselda, aber jeder nannte die schrumpelige Frau nur Schmitti.
    Ingrid van Bergen im Dschungelcamp vor ein paar Jahren, das sah schon schlimm aus. Ingrid van Bergen vor einigen Wochen beim RTL-Geburtstag, das war noch gruseliger. Gegen Schmitti aber war Frau van Bergen wie ein junger Pfirsich in der sanften Morgensonne Südspaniens.
    Schmitti hatte keine Haut, sie hatte sich ein Fensterleder ins Gesicht geklebt. Das hatte sie dann jeden Morgen aufs Neue in den schrillsten Farben angemalt, was Augen, Wangen und Mund jeweils mindestens doppelt so groß als sie in natura waren aussehen ließ. Ein Papagei wäre auf eine solche Farbenpracht im Gefieder stolz gewesen – das Schmitti trug sie als MakeUp.
    Dazu war sie so dünn, dass man sich in ihrer Gegenwart nicht traute auszuatmen. Sie wäre aller Wahrscheinlichkeit nach durchs offene Fenster davon geweht worden und ins Nirwana des Universums geschwebt. Die immer viel zu weiten Woolworth-Klamotten schlabberten nur so an ihr rum, wenn sie auf ihren klobigen Pömps durch die Räume wackelte. Irgendwie fühlte ich mich bei ihrem Anblick immer unweigerlich an Grimms Märchen erinnert … an die Hexe darin.
    Schmitti war zwar auf ihre Art eine Seele von Mensch. Sie hatte das Herz schon am rechten Fleck, so war das nicht. Aber es gab auch das andere Schmitti. Jenes, das zum Vorschein kam, wenn Alkohol im Spiel war.
    Nicht, dass sie während der Arbeit trank. Nein, nein – das überließ sie Xaver und seinen Kumpels. Aber nach Feierabend – und das hieß in ihrem Fall acht Uhr dreißig … am Morgen! – legte sie gern schon mal los.
    Man muss wissen: Schmitti hatte einen Lover. Das war der nicht minder von der Natur vernachlässigte Stadtstreicher, nennen wir ihn: Fritz. Dieser hatte keinen Job, schaffte es aber irgendwie immer an sein Bier und seinen Schnaps zu kommen. Meist nutzte er dafür die Gutmütigkeit des Wirtes der „Krone“, das war die Kneipe gegenüber des Postamtes, aus. Oder eben die von Schmitti.
    Schmitti und Fritz waren beide im selben Alter. Nur in welchem, das wusste man nicht. Hätte man ihnen das geschätzte Alter ins Gesicht gesagt, dann wäre es mit Sicherheit eine peinliche Situation geworden. Denn jeder, der sie kannte, wusste: So alt wie die beiden aussahen, würden sie sicher erst in ferner Zukunft werden – man konnte sich also nur irren, wenn man sagen sollte, wie alt sie sind.
    Jedenfalls hatten beide keine Falten im Gesicht – sie hatten Ackerfurchen. Heidi Klum hätte nur sehr minimales Interesse an den beiden gehabt. Denn Schnaps und Bier, die hinterließen nun mal auch damals schon Spuren. Zudem gab es auch noch kein Botox,

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