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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Wahrheit und Bedeutung hatte.
    Nichts dauert ewig, rief sich Miri ins Gedächtnis. All das um dich herum ist tot. Du, Owen - Vergangenheit. Ni-Ni und Dean und alle anderen, die du liebst, tot und vergessen, nur für dich nicht. Nur nicht für dich.
    Miri schloss die Augen. Sie wollte jetzt nicht über die Sterblichkeit nachdenken. Körper waren wertlos. Es war immer der Geist, der zählte. All diese Gedanken und Träume, jede Verletzung, jeder Triumph, alle Trivialitäten und Heldentaten eines einzelnen Lebens verblassten ins Nichts hinein. Menschliche Herzen hinterließen keine Aufzeichnungen.
    Vielleicht ist dieser Jadestein ja eine solche Aufzeichnung, ein Buch des Herzens. Es war da, um gelesen zu werden, vielleicht im Leben nach dem Tod, vielleicht von denen, die zurückgeblieben sind.
    Ein netter Gedanke. Der Miri erheblich lieber war als diese selbstverstümmelnde Anbetung mysteriöser Götter. Sie genoss die Poesie, die Idee, dass eine Frau, die schon Jahrtausende tot war, die Bedeutung ihres Lebens erkannt und ihre Unsterblichkeit selbst in die Hände genommen und sie in ihrem Körper verankert hatte, indem sie Knochen durch Jade ersetzte.
    Miri berührte ihre Brust, stellte sich erneut vor, dass sie dort einen Stein statt Knochen spürte. Einen warmen roten Stein. Sie fuhr die Einkerbungen in ihrem Geist nach und spürte sie unter den Fingerspitzen. Sie schmeckte sie auf ihrer Zunge; sie wirkten schwerer als Luft, so süß und nah wie ein Lied. In ihrem Herzen war ihr das Chinesische ebenso vertraut wie das Englische. Eine tote Sprache war wiederauferstanden. Nur ergab das keinen Sinn, aber Miri war plötzlich zu müde, um sich deshalb Sorgen zu machen. Sie wurde von der Müdigkeit überwältigt, die sich wie eine Last auf ihren Körper und ihren Geist legte. Und sie mit Schlaf erdrückte.
    Schmetterlinge, dachte sie, während sie eindöste. Öffne den Mund, und lass sie hinaus.
    Beinahe hätte sie es getan, fast diese Worte ausgesprochen, die ihr auf der Zunge schwebten, weil sie sich auf der Grenze zum Traum befand, im Reich der Fantasie, wo alle Vernunft beiseitegeschoben war. Aber im letzten Augenblick zuckte ihr Körper noch krampfhaft zusammen. Sie hatte das Gefühl eines tiefen Sturzes und fuhr aus dem Dämmer hoch. Sie war wach, hellwach. Das Gefühl, dieses Wissen in ihrem Mund, war verschwunden. Die Schmetterlinge geflohen.
    Miri berührte ihre Lippen. Sie konnte sich an etwas Lebendiges erinnern, das in ihrem Mund heftig losgeflattert war. Geisterworte.
    Oder einfach nur Gespenster.
    Unbehaglich richtete sie sich auf und zwang sich aufzustehen. Aber das war ein Fehler; sie schwankte, fasste sich an den Kopf, als ein Schmerz sie durchzuckte - wie ein Eispickel, der sich durch ihre Schläfe bohrte. Außerdem war ihr schwindlig. Miri schloss die Augen, doch das Gefühl verschwand nicht. Sie ging ins Badezimmer und strauchelte, als ihre nackten Füße den kalten Marmor berührten. Die Welt drehte sich. Sie hielt sich am Waschtisch fest, bemühte sich, stehen zu bleiben, und betrachtete sich im Spiegel. Kein toller Anblick, nicht mit ihrem harten Mund und der Falte zwischen ihren Augen, die einfach nicht verschwinden wollte. Ein dumpfer Schmerz glitt durch ihre Muskeln, begleitet von einem prickelnden Schauer, als bekäme sie Fieber. Die Stirnfalte vertiefte sich.
    Miri zog sich aus und trat in die Duschkabine. Sie wartete nicht, bis das Wasser warm wurde, sondern stellte den kalten Wasserstrahl auf volle Kraft. Es fühlte sich gut an. Sie zitterte nicht einmal. Ihre Haut schien das Wasser aufzusaugen, diese gnadenlose Bitterkeit. Sie hatte das Gefühl, als brenne sie. Ihr Herz tat weh, die Haut über ihrer linken Brust war sehr empfindlich. Sie versuchte dieses Brennen zu ignorieren, aber die Hitze war zu groß. Sie konnte nicht atmen. Sie bekam nicht genug Luft in ihre Lungen. Und das alles war jetzt einfach zu viel, zu verrückt. Sonst wurde sie nie krank. Nie, und schon gar nicht so. Es ging viel zu schnell.
    Sie stellte das Wasser ab und flüchtete nackt und benommen aus dem Badezimmer. Kühle Luft strich über ihre nasse Haut. Sie brach auf dem Bett zusammen, zog die Beine an die Brust und versuchte, ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Sie rang mit dem Erbrechen, sie hätte schreien mögen, wollte in den Laken verschwinden wie ein Geist und nie wieder etwas empfinden. Sie wollte ihren Körper aufgeben, dieses unerklärliche Elend, ihre Haut, die sich unter ihren Fingern so heiß anfühlte und

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