Geliebte des Feuers
sagte nichts, während er die Frucht in Scheiben schnitt und sie vor sie hinlegte. Er schälte sie langsam und ganz ruhig, dachte nur an das scharfe Messer, an die Mango, an Miri neben ihm, die lebendig war, kein Geist, an Feuer und Schmerz und Kugeln, an rote Jade und Mumien. Er dachte an sein Leben in den letzten zwanzig Jahren. Verlorene Zeit, vergeudete Zeit, Zeit, die sie getrennt verbracht hatten.
»Weißt du noch«, sagte Dean plötzlich, »als wir klein waren, in Ni-Nis Laden saßen und sie uns etwas von ihrem heißen gerösteten Schweinefleisch abschnitt? Wir haben es in Streifen gegessen und waren vollkommen fettverschmiert. Dann kam sie mit heißen Lappen und hat uns Gesicht und Hände sauber gemacht. Sie hat mir fast die Haut abgerieben.«
»Sie hat dich geliebt. Sie meinte, du wärst ihr re xiao erzi. Ihr heißer kleiner Sohn.«
»Genau das war ich auch«, sagte er und fuhr dann leiser fort: »Sie hat mir so viel beigebracht, Miri, Dinge über das Leben, die ich niemals selbst herausgefunden hätte, wenn sie mir nicht ihre Geschichten erzählt hätte. Sie hat sie mir förmlich eingetrichtert.«
»Dir und mir. Sie hat uns beide zu kleinen Überlebenskünstlern gemacht.«
»Keine Furcht«, sagte er, als er sich erinnerte. »Zeig niemals Furcht.«
Zeig niemals Furcht. Und das von einer Frau, die vermutlich mehr Furcht erlebt hatte, als ein einzelner Mensch jemals sollte erdulden müssen.
Dean erinnerte sich noch an ihre fesselnden Geschichten von dem Leben in China während des Zweiten Weltkriegs, wo sie nach Nanjing geflohen war, weil sie sich an diesem Ort sicher wähnte, nur um dort eins der schlimmsten Massaker in der Geschichte der Menschheit erleben zu müssen. Er konnte ihren weichen Akzent noch hören, ihre leidenschaftliche Schilderung von Fakten und Gräueltaten: kochende Babys, Ströme von Blut, Bandenvergewaltigungen, bei denen die Frauen an den inneren Verletzungen verbluteten, die man ihnen mit Messern zugefügt hatte. Der chinesische Holocaust des Zweiten Weltkrieges, den sie auf dem Botschaftsgelände eines deutschen Nazis mit angesehen hatte, der schließlich nach Hause telegrafiert hatte. Er hatte Hitler angefleht, Hiroisho darum zu bitten, der japanischen Armee ein Ende des Massakers zu befehlen.
Die Welt ist ein grausamer Ort, hatte sie gesagt, und ihr Mitgefühl war von einem scharfen Blick für Sicherheit und Überleben durchsetzt, denn nichts war jemals wirklich sicher. Ebenso wenig war etwas wirklich heilig. Nichts, das heißt, nichts bis auf wenige Momente. Momente der Freude, der Liebe; Friede, gutes Essen und Wärme an einem Tisch mit jenen, die man liebte. Auf solche Augenblicke konn te man sich stützen, und jeder einzelne von ihnen war kostbar. Alles andere blieb ein Mysterium. Gut oder schlecht, Glück oder Pech, alles lag hinter einem Schleier verborgen. Deshalb musste man vorbereitet sein, und zwar immer auf beides. Bereit, zu kämpfen, am Leben zu bleiben, Freunde und Fam ilie zu beschützen, um jeden Preis.
Sie war eine harte Frau gewesen. Und ein guter Mensch. Dean vermisste sie. Er hätte nicht geglaubt, dass er sie noch mehr vermissen könnte, als er es schon tat. Aber als er hörte, was Miri dazu zu sagen hatte ...
Wenn man an Dummheit sterben könnte, wäre seine Nummer vermutlich aufgerufen worden, als er sechzehn Jahre alt gewesen war.
»Ich hätte zurückgehen sollen«, sagte er. »Ich war ein Feigling, Miri. Ich dachte, du wärst tot, und ich habe ihr nicht geholfen, sondern bin weggelaufen. Sie hätte das nicht getan. Sie wäre durch die Hölle marschiert, um uns zu helfen, und ich war zu schwach, dasselbe für sie zu tun.«
»Das Thema haben wir doch längst erledigt, Dean. Quäl dich nicht länger damit.«
»Aber sie hat die Hoffnung nie aufgegeben. Genauso wenig wie du.«
»Sie war nicht der Typ, um etwas anderes zu tun.«
Dies stimmte zwar, aber das machte es ihm auch nicht leichter, es zu akzeptieren. »Wie ist sie gestorben?«
»Im Schlaf. Fast ein Jahr nachdem wir getrennt wurden. Danach haben mich meine Eltern wieder zu sich genommen. Sie wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten.«
Dean nahm Miris Hand. Sie zog sie nicht zurück, nicht einmal, als er an sie heranrückte und ihren Schenkel an sich drückte. Sie fühlte sich gut an, klein und warm, und der Duft ihres Haares beschwor Erinnerungen aus ihrer Jugend herauf, von Augenblicken wie diesem, als sie zusammensaßen und sich nah waren.
»Ich vermisse sie«, sagte sie
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