Geliebter, betrogener Mann
trug Julio ein Glas Orangensaft auf und verschwand wieder in der Küche. Das Pfeifen Michaels hatte aufgehört. Gleich kommt er, dachte sie. Was wird er erzählen? Was sollen wir uns sagen? Nirgends ist eine Leere so vollkommen als bei einem Ehepaar, das sich stumm gegenübersitzt.
Im Badezimmer stand Michael Pohland vor dem Spiegel und kämmte sich. Als er den Kamm auf die gläserne Ablageplatte zurückwarf, sah er neben den verschiedenen Fläschchen und Nagellackflakons auch eine ihm unbekannte Schachtel liegen. Er nahm sie in die Hand, las die Aufschrift und legte die Schachtel zurück. Ein Medikament. Sicherlich Schlaftabletten oder dergleichen. Ein Name, den er noch nie gehört oder gelesen hatte.
Er wollte das Badezimmer schon wieder verlassen, als er in der Tür zögerte, zurückkam und noch einmal die Schachtel in die Hand nahm. Eine Erinnerung war ihm plötzlich gekommen, blitzartig, ein Bild, das er längst vergessen glaubte.
Es war in Heidkamp. In der Apotheke, in der er Hustenbonbons holen wollte, weil er den ganzen Tag über soviel geredet hatte, traf er Gotthelf Petermann. Der Apotheker gab ihm gerade ein Rezept zurück und schob eine Packung über die Theke.
Es war die gleiche Schachtel, wie sie hier in Gerdas Bad lag.
Noch einmal las er den Namen des Medikamentes: Anovlar. Wahrscheinlich ein Schlafmittel, dachte Michael Pohland. Oder irgendeine Kombination mit Vitaminen. Wenn Petermann sie für seine Anna verschrieben bekommt, kann es gar nichts anderes sein. Nach der schweren Entbindung war sie wochenlang entkräftet, und erst langsam erholte sie sich wieder von dem großen Blutverlust.
Er legte die Pillen auf die Glasplatte zurück, löschte das Licht im Badezimmer und ging hinunter zum Essen.
Der Zauber einer capresischen Nacht umfing ihn. Julio hatte über die Terrasse Lampions gespannt. An unsichtbaren Nylonschnüren schaukelten sie leicht im Wind, der vom Meer herüberglitt; bunte phantastische Kugeln, die frei zu schweben schienen; winzige, vom Himmel herabgeglittene Sterne, sich drehend und wie nach einer unhörbaren Melodie sich wiegend.
In der Bucht, über die Klippen brechend, rauschte dazu das schwarze Meer, betupft mit dem Widerschein des Sternenhimmels. Michael Pohland lehnte sich weit zurück und tastete nach Gerdas Hand.
»Es war ein guter Gedanke von dir, mich zu entführen«, sagte er leise. »Es ist vielleicht für lange Zeit das letztemal, daß wir hier zusammensitzen.«
»Wieso, Micha?« Gerda beugte sich vor und legte den Kopf auf seine Hand. Aber in ihrer Zärtlichkeit schwang Erschrecken mit. »Was ist denn?«
»Ich habe es dir noch nicht gesagt. Dr. Corbeck arbeitet gerade die genauen Pläne aus. Aber ich glaube, daß ich es dir heute sagen muß. Gerade heute.«
Sie sah ihn mit einem Ausdruck von Furcht an. »Was hast du denn, Micha?«
»Ich werde zwei Monate verreisen müssen.«
»Allein?«
»Ja.«
»Das kommt nicht in Frage. Ich fahre mit.«
»Das habe ich mit Doktor Corbeck alles durchgesprochen. Er, und auch die anderen Herren, halten es für unmöglich. Das Programm, das bewältigt werden muß, ist zu anstrengend für dich. Es wird eine einzige Hetze werden.« Michael Pohland nahm aus der Jacke einen Zettel und faltete ihn auseinander. »Hier stehen nur die wichtigsten Stationen. Erst Dakar, dann weiter nach Togo, von dort mit dem Flugzeug nach Karatschi, Delhi, Rourkela, Kalkutta, dann nach Bangkok und vierhundert Kilometer hinein in den Dschungel, wo man unter Ausnutzung eines Wasserfalls ein großes Sägewerk bauen will. Die Wasserkraft ist so gewaltig, daß über Turbinen Strom für ein Gebiet so groß wie ganz Bayern erzeugt werden kann. Das wieder bedeutet, daß wir den Dschungel wirtschaftlich erschließen können; ein ungeheurer Bodenschatz, ein jungfräuliches Land, das noch gar nicht übersehbare Schätze birgt. Und die Pohland-Werke sind maßgebend an dieser Erschließung beteiligt.«
»Du willst also in den Dschungel?« Gerda richtete sich auf.
»Ich muß, Liebes. Wenn ich Millionen investiere, will ich sehen, wo sie hinfließen.«
»Ich fahre mit«, sagte sie fest. Sie warf den Kopf in den Nacken wie ein trotziges Kind. Pohland mußte lächeln. In solchen Augenblicken war sie wirklich wie ein kleines Mädchen, dem man nie zutraute, eine reife Frau und Mutter zu sein. »Da gibt es gar nichts mehr zu sagen. Ich lasse dich nicht allein in den Dschungel.«
»Allein! Doktor Corbeck fährt mit, vier Ingenieure, eine staatliche Kommission aus
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