Geliebter Feind
auszusprechen.
„Hier wird nicht geplündert. Auf dieser Burg wird keinerlei Beute gemacht. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, meine Herren?"
Ohne sich umzudrehen, wußte Kathryn sofort, wer hinter ihr stand. Diese erschreckend kalte Stimme würde sie so bald nicht mehr vergessen. Der Earl of Sedgewick verfügte über eine geradezu unheimliche Macht. Er hatte es nicht nötig, Gewalt anzu-wenden; er brauchte nur seine Stimme und seinen Blick, um zu strafen und zu züchtigen.
Innerlich gefror Kathryn zu Eis. Wie gütig, dachte sie. Wie nobel. Ashbury sollte nicht geplündert und ausgeraubt werden.
Dabei war Guy de Marche auch nicht besser als ihr Onkel. Er selbst raubte doch alles, was ihr und Elizabeth gehörte! Doch so war das Leben nun einmal, und die Methoden der Männer kannte man ja.
„Herr." Kathryn hob ihr Kinn und blickte den Earl kühl an.
Sie knickste weder, noch reichte sie ihm die Hand. Sie wollte sich keinesfalls vor ihm erniedrigen.
Sein Blick war unterdessen zu Elizabeth gegangen, die noch immer sichtlich erschüttert war. Sie hatte viel zu große Furcht, um fortzulaufen und vor den Männern zu flüchten - oder vor dem Earl.
Kathryn legte ihr beschützend einen Arm um die Schultern.
„Ihr kennt meine Schwester noch nicht. Elizabeth - Guy de Marche, Earl of Sedgewick."
„Es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Elizabeth. "Er deutete eine Verbeugung an und lächelte beinahe herzlich.
Wieder einmal packte Kathryn die Wut. Warum spielte Guy de Marche ihnen den edlen Ritter vor? Weshalb hatte Sir Hugh das ebenfalls getan? Die beiden waren doch die großen Helden, während sie und ihre Schwester die Unterlegenen waren. Nun ja, es hätte auch weit übler kommen können, gestand sie sich im stillen ein. Der Earl hätte sie versklaven oder - noch schlimmer -
seinen Männern überlassen können.
Nicht zum erstenmal fragte sich Kathryn, was er wohl mit ihnen vorhatte. Doch was spielte das noch für eine Rolle? Bald würde er ja tot sein.
In diesem Augenblick entdeckte Kathryn Roderick und einige der anderen Ritter aus dem Gefolge ihres Onkels. Heilige Mutter Gottes! Hatten diese Männer tatsächlich einen Weg gefunden, Richard zu befreien?
Sie merkte, daß der Earl ihrem Blick gefolgt war. „Ist es nicht gefährlich, die Leute meines Onkels hier frei herumlaufen zu lassen?"
„Euer Liebha.. " Mit einem Blick auf Elizabeth unterbrach er sich mitten im Wort. „Euer Verlobter", sprach er dann weiter, „und einige andere Männer haben mich durch ihren Treueeid als ihren neuen Herrn anerkannt."
Sein verächtlicher Ton konnte ihr nicht entgehen. „Ihr seid ja sehr vertrauensselig, die Leute so schnell zu befreien", bemerkte sie.
Er richtete seine eigenartig silbrigen Augen auf ihr Gesicht.
„Ohne Vertrauen keine Aufrichtigkeit", erwiderte er leise.
„Und als oberster Gefolgsmann Eures Onkels besitzt Sir Roderick einen gewissen Einfluß auf die anderen Ritter. Seid im übrigen versichert, daß diese Männer bewacht werden, wenn es auch nicht so aussehen mag."
Er lächelte spöttisch. „Zählt nur nicht darauf, daß alle Leute Eures Onkels so schnell wieder freigelassen werden. Zu gegebener Zeit werden sie vor die Wahl gestellt werden, ob sie mich wie die anderen als ihren neuen Herrn anerkennen wollen oder nicht."
„Und wenn nicht?"
Er zuckte die Schultern. „Dann wird es ihnen leid tun", antwortete er schlicht und einfach.
Besitzt der Mann denn gar kein Herz, kein Mitgefühl? fragte sie sich wütend. Ist er denn wirklich so gnadenlos und grausam wie unser Onkel?
Er hat Roderick verschont, mahnte sie eine innere Stimme. Er hat dich und deine Schwester verschont!
„Kathryn, ich bin müde", flüsterte Elizabeth. „Wir wollen uns zurückziehen."
Jetzt gesellte sich endlich auch Sir Hugh wieder zu ihnen. Er schlug seinem Herrn und Freund leicht auf die Schulter. „Guy, Euch ist ein wirklich unterhaltsamer Abend entgangen", er-klärte er.
Der Earl blickte zwischen den beiden Schwestern hin und her.
Kathryn lächelte, als wäre sie ganz Hughs Meinung. Elizabeth dagegen hielt den Kopf gesenkt. Wie unterschiedlich die beiden doch sind, dachte Guy. Die eine war so dunkelhaarig, wie die andere hellblond war. Kathryn war wie Sturm und Feuer, Elizabeth wie ein sanfter Sommerregen.
„Ich wollte die beiden Damen gerade zu ihren Gemächern geleiten", sagte Hugh. „Danach wollte ich noch auf einen Krug Bier hierher zurückkehren. Wollt Ihr mir nicht dabei Gesellschaft
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