Geliebter Feind
Frauen; trotzdem spürte er den starken Kampfgeist in ihr, und das stellte eine Herausforderung für ihn dar.
„Eure Bedenken sind vollkommen unnötig", erklärte er schroff. „Ihr und Eure Schwester mögt auf Ashbury Keep ver-bleiben, und Eure Position hier wird nicht anders sein, als sie es vor meinem Erscheinen war."
Dafür hätte Kathryn ihm danken sollen, doch das brachte sie nicht über sich. Sie betrachtete ihn verstohlen, als er sich halb umdrehte und Wein in einen Silberkelch goß.
Der Earl hatte sein Lederwams abgelegt und trug nun eine leichte Leinentunika. Sein dunkles Haar war zerzaust, als hätte er es sich immer wieder gerauft. Er wirkte müde; leichte Fält-chen zogen sich um seine Mundwinkel, und dadurch sahen seine Lippen nicht mehr ganz so hart aus . . .
Sie mahnte sich, wieder an die Wirklichkeit zu denken und an den Dolch, der tief in den Falten ihres Ärmels verborgen war.
Sie sollte diesen Mann töten, der so groß, so stark und so voller Leben war. Bald würde sein Herz nicht mehr schlagen, und sein Körper würde kalt und steif sein.
Ihr Mund wurde ganz trocken, und ihre Hände wurden feucht. Ich kann es nicht tun, dachte sie. Ich kann es nicht.
„Ihr müßt mir von Eurem Besuch bei Eurem Onkel erzählen."
Kathryn fuhr zusammen. Sie schaute hoch und sah, daß er sie anblickte, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Die Panik erfaßte sie wie ein nicht mehr einzudämmendes Feuer. Er konnte doch gar nicht wissen, weshalb sie hergekommen war. Er durfte es nicht wissen!
„Ich wäre nicht zu ihm gegangen, hätte er mich nicht zu sich befohlen." Zu ihrem eigenen Schrecken klang ihre Stimme ziemlich brüchig.
Er hob den Silberkelch hoch, setzte ihn jedoch nicht an die Lippen. Seine Hände waren gebräunt, schmal und kräftig, nicht so fleischig wie Richards. „Ich habe das Gefühl, Ihr verbergt etwas vor mir, Kathryn", sagte er sehr leise. „Ich frage Euch also noch einmal: Was führt Euch zu mir?"
Sie befeuchtete sich ihre trockenen Lippen. Daß Guy jede ihrer Bewegungen beobachtete, war ihr nicht bewußt. „Das sagte ich Euch doch bereits. Ich bin gekommen, um Eure Absichten zu erfahren, soweit sie meine Schwester und mich . ." Sie sprach nicht weiter, denn er schüttelte den Kopf.
„Das vermag ich nicht recht zu glauben. Vergebt mir meinen Argwohn, doch ich vermute eher, Euer Onkel hat Euch zu mir geschickt."
Kathryn preßte die Lippen aufeinander. Weder leugnete noch bestätigte sie etwas. Es ärgerte sie, daß sie so leicht zu durchschauen war.
Guy de Marche stellte sich direkt vor sie. Sein selbstzufriedenes Lächeln war ihr unerträglich. Er betrachtete sie langsam und ausgiebig von Kopf bis Fuß. Ihr Gesicht wurde flammend rot, denn ihr war es, als entkleidete er sie bis auf die Haut.
„Will Euch Euer Onkel gegen mein Wohlwollen eintau-schen?" erkundigte er sich. „Sollt Ihr das Opferlamm sein? Be-nutzt er Euch, um meine Seele zu erweichen, damit ich Nachsicht mit ihm übe?"
„Ich glaube, Ihr besitzt überhaupt keine Seele, die zu erweichen wäre."
Er lachte, als hätte sie etwas ungemein Erheiterndes geäu-
ßert. „Und ich glaube, Ihr, die pflichtbewußte Nichte, würdet alles für Euren Onkel tun."
„Nein! Wenn Ihr es genau wissen wollt: Ich würde alles tun, um ihn loszuwerden. Weshalb, meint Ihr, würde ich sonst Roderick heiraten wollen?"
„Ja, richtig. Weshalb eigentlich?" Guy hob eine Augenbraue.
„Ich bitte Euch, sprecht nur weiter. Ich würde gern alles über die kleinen Intrigen erfahren, die im Haushalt Eures Onkels gesponnen werden."
„Onkels Haushalt!" Kathryns Augen sprühten Zorn. „Elizabeth und ich waren lange vor dem Onkel hier. Er hat König Stephen bestochen, um uns Ashbury stehlen zu können!"
„Ja, davon habe ich gehört. Und nun wolltet Ihr ihm Ashbury wieder entreißen?"
„Jawohl."
Guy runzelte die Stirn. „Das begreife ich nicht ganz. Wie wolltet Ihr Euer Vorhaben durch die Ehe mit Sir Roderick denn ins Werk setzen?"
Kathryn war viel zu ärgerlich, um vernünftig zu denken. Was spielte es auch für eine Rolle, ob er es erfuhr oder nicht? „Wie Ihr selbst vorhin in der Halle sagtet, ist Roderick als Ranghöchster unter Richards Rittern sehr einflußreich. Sollte er sich gegen unseren Onkel stellen, würden ihm viel der Männer folgen."
So viel Unverfrorenheit verblüffte Guy. Diese kleine Weibsperson hätte ihren ganzen zweifellos vorhandenen Liebreiz eingesetzt, um ihren Ehegatten zu einer Rebellion anzustiften!
Und
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