Geliebter Feind
vorgetreten war.
„Herr!" Elizabeth legte die Hände wie im Gebet zusammen.
„Ihr werdet meine Schwester doch nicht aus unserer Heimstatt reißen!"
Guys Verhalten änderte sich sofort, als er den furchtsamen Ausdruck in ihren großen blauen Augen sah. „Es tut mir sehr leid, Lady Elizabeth." Sein Ton war jetzt überaus sanft. „Ich fürchte allerdings, das muß ich tun. Jedenfalls fürs erste."
„Das dürft Ihr nicht!" rief sie. „O bitte, nehmt mir meine Schwester nicht fort. Das dürft Ihr nicht tun."
Guy hob nur fragend die Augenbrauen.
Elizabeth wußte nicht, was sie noch sagen konnte, als ihr wieder Kathryns Plan einfiel, mit dem der Onkel hatte getäuscht werden sollen. Würde sie es wagen ...? Würde sie in Kauf nehmen, dereinst wegen einer solchen Lüge im Höllenfeuer zu brennen? Unvorstellbar! Doch genauso unvorstellbar war es für sie, ohne ihre Schwester zu leben.
„Elizabeth", fragte der Earl leise, „weshalb wollt Ihr, daß Eu-re Schwester hierbleibt?"
„Weil.. . weil sie schwanger ist!"
Kathryn verschlug es den Atem. Guys Blick war sofort wieder zu ihr zurückgekehrt, während sie selbst bestürzt ihre Schwester ansah und deshalb auch nicht bemerkte, wie sich der Gesichtsausdruck des Earls verdüstert hatte.
„Kathryn!"
Sie fuhr heftig zusammen.
„Ich fragte, ob Euch Eure Umstände krank gemacht haben!"
Viel zu benommen, um vernünftig zu denken, schüttelte sie den Kopf.
„Dann bleibt es bei meinem Beschluß", erklärte Guy de Marche. „Ihr kommt mit mir nach Sedgewick, denn ganz offensichtlich wird es noch viele Monate dauern, bis Euer Kind geboren wird."
Trotz ihrer Bestürzung erkannte sie, daß sie seiner Unbeugsamkeit nichts entgegenzusetzen hatte. „Ich . . . ich brauche einen Umhang. Ich werde Euch nicht lange warten lassen", versicherte sie. Was sie in Wirklichkeit brauchte, das war ein Moment des Alleinseins. Sie kannte Ashbury Keep besser als der Earl und seine Mannen. Sie könnte fliehen und sich verbergen, bis man die Suche nach ihr aufgab.
Leider jedoch schien Guy de Marche alles im voraus bedacht zu haben, denn bevor sie sich noch umdrehen konnte, erschien Helga mit einem Umhang über dem Arm. Ein weiterer Bediensteter folgte mit einer kleinen Truhe, die er auf der Schulter trug. Zu ihrem Kummer erkannte Kathryn sie als ihre eigene.
„Verabschiedet Euch von Eurer Schwester", befahl der Earl kurz.
Unterdessen weinte Elizabeth schon laut und unverhohlen.
Kathryn umarmte sie. „Es wird alles wieder gut", versicherte sie beruhigend. „Nein, sage jetzt nichts. Du bist stark, Schwester, stärker, als du glaubst. Es wird nicht so schlimm werden, du wirst schon sehen. Und ich kehre bald zurück. Das verspreche ich dir."
Elizabeth klammerte sich nur fester an sie. Kathryn hatte Mühe, ihre eigenen Tränen zurückzuhalten. Sie trat ein wenig zurück, nahm Elizabeth bei der Hand und küßte sie auf die Stirn. „Wünsche mir alles Gute, Schwester", flüsterte sie. „Und möge Gott mit dir sein."
„Kathryn . ." Mit einem erstickten Aufschrei drehte sich Elizabeth um und floh.
Es dauerte einen Moment, bis Kathryn sich wieder gefaßt hatte, und dann wandte sie sich an Sir Hugh, der sich noch immer in unmittelbarer Nähe befand. „Ich kenne Euch nicht, Sir Hugh, und dennoch spüre ich, daß Ihr ein gütiger Mann seid. Zumindest hoffe ich das, denn außer Euch habe ich niemanden, an den ich mich wenden könnte."
Ihre Stimme klang belegt und leise. „Ich habe Euch noch nicht gesagt, wie leid es mir tut, was Eurer Schwester geschehen ist." Sie lächelte traurig. „Und nun muß ich Euch bitten, Euch meiner Schwester anzunehmen." Sie blickte ihm flehend in die Augen. „Wollt Ihr das für mich tun, Sir Hugh? Werdet Ihr Elizabeth beschützen?"
„Das will ich tun." Er lächelte kaum merklich. „Doch es ist nur recht, wenn ich es Euch gestehe: Meine Motive sind nicht ganz frei von Eigennutz."
Kathryn wußte genau, was er damit meinte. Daß er ein großes Interesse an ihrer Schwester hatte, war ihr nicht entgangen. Ein Schatten flog über ihr zartes Gesicht.
„In diesem Fall gibt es etwas, das Ihr wissen solltet", sagte sie langsam. „Sir Hugh, möglicherweise wird es Euch nicht gelingen, Elizabeth zu umwerben und zu gewinnen, denn sie fühlt sich nicht wohl, wenn ein Mann ihr Aufmerksamkeit schenkt.
Genauer gesagt, sie fürchtet sich vor den meisten Männern."
Rasch vertraute sie ihm an, daß ihre Schwester vor Jahren Au-genzeugin der Vergewaltigung und
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