Geliebter Feind
fortwar."
Tränen schimmerten in ihren Augen. „Und wenn Ihr die Lady Kathryn findet, dann verurteilt sie nicht zu sehr. Oh, ich weiß, das wird Euch unmöglich sein, doch seid so gut, und laßt Nachsicht walten!"
Guy blickte auf Gerdas gesenkten Kopf hinunter. Welche ma-gischen Kräfte besaß Kathryn eigentlich, daß sie alle Menschen so zu verzaubern verstand - seinen Sohn, Sir Michael und sogar dieses Mädchen hier, dessen Loyalität Elaine gegenüber so unerschütterlich gewesen war?
Nachsicht? Niemals! Lady Kathryn of Ashbury hatte zum letztenmal mit ihm gespielt.
Er zog Gerda in die Höhe. „Wir wissen beide, wer die Schuld trägt", sagte er tonlos. „Das bist weder du, noch ist es Sir Michael. Ich will nur noch eines erfahren, Gerda. Hat Kathryn irgendwelche weiteren Fluchtversuche unternommen?"
„Nein, Herr", antwortete das Mädchen fest und ohne Zögern.
„Keinen einzigen."
„Dann hat sie sich also erst zur Flucht entschlossen, nachdem sie die Kunde von meiner bevorstehenden Heimkehr erhalten hatte?"
„So scheint es", sagte Gerda unglücklich. Sie berührte seinen Arm. „Herr, Sir Michael sucht sie auf der Straße nach Ashbury."
„Ja, das dürfte höchstwahrscheinlich auch ihre Fluchtrich-tung sein."
Gerda zögerte. „Da bin ich nicht so sicher", entgegnete sie langsam. „Eine der anderen Mägde, sie heißt Zelda, hat mir nämlich eben erzählt, daß die Lady sie gestern abend nach dem nächstgelegenen Kloster befragt hat."
Guy sagte nichts, weil er sich mit einmal an etwas erinnerte . . . und dann hörte er Hugh wieder sagen: „Lady Kathryn war gestern nacht vor Verzweiflung sogar bereit, in ein Kloster zu fliehen."
„Dann werde ich dort nach ihr suchen", erklärte er. „Gerda, sorge dafür, daß Speisen und Getränke bereitgestellt werden.
Und wenn ich Kathryn gefunden habe, werde ich mich nach Ashbury begeben."
Er hat nicht gesagt, ,falls ich Kathryn gefunden habe', dachte Gerda besorgt. Im stillen betete sie darum, daß der Herrin auf deren Weg kein Schaden zugefügt wurde, sei es von Tier oder Mensch. Und als sie später den Earl davongaloppieren sah, wiederholte sie ihr Gebet mit Inbrunst.
Das Tageslicht erlosch so schnell wie eine Kerze, die von einem unsichtbaren Mund ausgeblasen wurde. Kathryn kauerte sich dichter ans Feuer; zum Schlafen war sie viel zu unruhig.
Wenigstens befand sie sich auf dem richtigen Weg. Zelda hatte nämlich einige Orientierungspunkte in der Landschaft er-wähnt, und an denen war Kathryn im Laufe des Tages auch vor-beigekommen.
Zu wissen, daß der Earl heute nach Sedgewick zurückgekehrt war, beunruhigte sie. Es fiel ihr nicht schwer, sich seine Wut vorzustellen. Wahrscheinlich würde er sich auf die Suche nach ihr machen, denn selbstverständlich betrachtete er ihre Flucht als Beleidigung seiner männlichen Überlegenheit.
Er wird mich nur nicht finden, dachte sie lächelnd. Gewiß ging er davon aus, daß sie sich auf dem Weg nach Ashbury befand. Sie jedoch würde schon morgen mittag die schützenden Mauern des Klosters erreicht haben. Dort würde sie Zuflucht finden, bis sie ihr Kind zur Welt gebracht hatte. Und danach?
fragte sie sich. Darüber kann ich mir später noch den Kopf zerbrechen, wies sie sich zurecht. Sie zog die Beine hoch und legte das Kinn auf die Knie.
In der Ferne heulte ein Wolf. Dann wurde es wieder unheimlich still. Kathryn lauschte angespannt, doch schon nach wenigen Minuten beruhigte sie sich wieder. Bald begann sie vor sich hin zu dösen.
Unwillkürlich mußte sie an eine ähnliche Nacht vor langer Zeit denken, in der der Earl in den Schatten gelauert hatte. Wie im Traum sah sie ihn breitbeinig vor sich stehen, sah seine Augen im Schein des Lagerfeuers glitzern, sah sein spöttisches Lä-
cheln . . .
Dies war kein Traum! Guy stand wirklich vor ihr! Kathryn sprang auf und wirbelte herum. Schon im nächsten Moment packte er sie beim Ellbogen und zog sie wieder zurück. „Nein!"
stieß sie hervor. „Nein!"
„O doch, Kathryn. Doch!" Er drückte ihr seine Hände auf die Schultern und neigte den Kopf näher zu ihr heran. So war es schon einmal, schoß es ihr durch den Sinn. Er preßte seinen Mund auf ihren, während er mit der Hand über ihren Körper strich, über ihre Brüste, ihre Hüften, ihre Oberschenkel, ihren Leib. .
Beide erstarrten.
Er riß seinen Mund von ihren Lippen. Bestürzung malte sich auf seinen Zügen. Sein Blick glitt an ihrem Körper hinab. Wäre Kathryn nicht so schlank gewesen, hätte man
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