Geliebter Feind
Winter benötigt wurde.
Nie hatte sich Kathryn miserabler gefühlt als jetzt, zumal sie nicht einmal verstand, weshalb eigentlich. Hatte sie sich nicht immer nach dem Tag gesehnt, an dem sie von dem Earl befreit sein würde? Nun hatte sie doch, was sie wollte. Und dennoch -
wie sehr sie ihn auch haßte, er wohnte stets in ihren Gedanken.
Eines Nachmittags gegen Ende Oktober herrschte im Haushalt mehr Geschäftigkeit als üblich. In der großen Halle hielt Kathryn eine Magd auf, die gerade von den Küchen hereinge-laufen kam. „Jeder hat es heute so furchtbar eilig", meinte sie.
„Was geht denn hier vor?"
Die Augen des Mädchens leuchteten. „Vor einer Stunde ist ein Bote eingetroffen. Der Earl wird morgen wieder heimkommen", lautete die Antwort.
Erst als sie allein in ihrem Gemach war, gab Kathryn dem Tumult in ihrem Inneren nach und ließ sich aufs Bett sinken. Der Augenblick, den sie alle diese Wochen und Monate gefürchtet hatte, stand jetzt unmittelbar bevor. Der Earl of Sedgewick kehrte heim!
Panik und Verzweiflung senkten sich auf sie herab und drückten ihr die Luft zum Atmen ab. Sie mußte an die letzte Nacht in Guys Armen denken. Damals hatte sein Verlangen nach ihr keine Grenzen gekannt. Unwillkürlich strich sie sich über den sanft gerundeten Leib.
Würde der Earl sie noch immer begehren? Er war stark, männlich und schön. Zweifellos brauchte er nur mit dem Finger zu winken, und schon würden ihm die Damen zu Füßen fallen.
Begehrte ein solcher Mann eine Frau, die nicht mehr schlank und begehrenswert war? Vielleicht hatte er ja sogar schon eine andere in sein Bett genommen!
Was, wenn Guy sie, Kathryn, verstieße, sobald er entdeckte, daß sie schwanger war? Wohin sollte sie dann gehen? Nach Ashbury, das war ihr erster Gedanke. Doch wie sollte sie Elizabeth und allen denen, die sie ein Leben lang kannte, vor die Augen treten - mit dem ungeborenen Kind des Siegers über sie alle im Leib?
Nein, nach Ashbury konnte sie nicht zurückkehren. Hier auf Sedgewick beim Earl konnte sie indessen auch nicht bleiben.
Sie war eine Ausgestoßene.
Es gab nur einen Ausweg. Sie mußte fliehen, und zwar sofort und solange ihr noch ein Rest von Würde verblieb. Das war besser, als wenn Guy sie später hinauswarf.
Kathryn verließ Sedgewick im ersten Morgenlicht des neuen Tages.
Jeder Tag fern von Sedgewick war für Guy ein Tag zuviel, doch der Earl war nicht der Mann, der sich vor den Pflichten seinem König gegenüber drückte.
Heinrich II. war entschlossen, die königliche Zentralgewalt über die gesetzlosen Barone wiederherzustellen. Eine seiner Methoden bestand darin, ihre Festungen zu schleifen und die Wiedererrichtung zu beschränken. Die Barone, welche die Zerstörung überlebt hatten, waren nun von der Gnade des Königs abhängig, wenn sie wieder in ihre alten Privilegien eingesetzt werden wollten. In einigen Fällen füllte Heinrich die königlichen Schatztruhen auf, indem er die wiedereingesetzten Barone mit neuen, hohen Abgaben belegte.
Der Earl of Sedgewick gehörte zu den Glücklicheren. Als Dank für seine Loyalität hatte Heinrich beschlossen, ihm Titel und sämtliche Privilegien zu belassen. Guy hatte längst erkannt, wie klug es war, den neuen König zu unterstützen.
In Wales und in den Midlands gab es indessen eine Reihe von Markgrafen und mächtigen Baronen, die sich der Ordnung der neuen Regierung widersetzten, und Guy de Marche war einer derjenigen, die Heinrich II. dabei helfen sollten, den Aufruhr niederzuschlagen.
Das war nunmehr geschehen. Da sich die königlichen Trup-pen in der Nähe von Sedgewick befanden, hatte Heinrich Guy beurlaubt, ihm jedoch befohlen, sich ihm in einigen Tagen auf Ashbury wieder anzuschließen.
Fast drei Monate, nachdem er fortgeritten war, hielt Guy jetzt sein Schlachtroß auf dem Gipfel eines Hügels an und schaute voller Stolz auf die mächtigen Mauern, die Sedgewick umga-ben. Er bedauerte, daß ihm so wenig Zeit blieb, bevor er seine Heimstatt wieder verlassen mußte.
Die Mittagssonne strahlte vom klaren Himmel. Der leichte Wind trug die Düfte der Wiesen und Felder heran und spielte mit den inzwischen herbstlich gefärbten Blättern. Guy dachte daran, daß er im so lange zurückliegenden Frühling fast genau von dieser Stelle aus der Lady Kathryn zum erstenmal seinen Besitz gezeigt hatte.
Kathryn . . . Seine Miene verdüsterte sich. Er hatte gehofft, daß sich sein Verlangen nach dieser Frau in diesen langen Monaten aufgelöst hatte. Statt
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