Geliebter Feind
Brot und ein Stück Käse. Während sie aß, sattelte er die beiden Pferde.
Eine Stunde später gelangten sie an eine Wegkreuzung. Zu ihrer Verblüffung sah Kathryn, daß Guy seinen Hengst nicht in die Richtung lenkte, aus der sie gekommen war, sondern den entgegengesetzten Weg verfolgte. Sie blieb ein wenig zurück.
„Seid Ihr sicher, daß dies die Straße nach Sedgewick ist?" Sie deutete nach rechts. „Ich weiß ganz genau, daß ich von dort gekommen bin."
„Wie kehren nicht nach Sedgewick zurück", teilte er ihr mit.
„Wir reiten nach Ashbury, wo ich mich König Heinrich wieder anzuschließen habe."
Kathryn erschrak. Sie wurde aschfahl. „Nein", flüsterte sie schwach. Ihre Hand bewegte sich unwillkürlich zu ihrem Leib.
„Ihr könnt mich doch nicht. . . "
Als er ihr das Entsetzen von ihrem Gesicht ablas, brach das Unwetter in seiner Seele los. „Was?" spottete er. „Beliebt es der edlen Lady nicht?" Vor Wut wußte er nicht mehr, was er sagte.
„Monatelang habt Ihr mir vorgejammert, wie sehr Ihr Sedgewick haßt und wie sehr Ihr Euch nach Ashbury zurücksehnt.
Nun, jetzt bekommt Ihr Euren Willen, Madam - und wo bleibt Eure Dankbarkeit?"
Er griff in ihre Zügel, zog Esmeralda neben seinen Hengst und trieb die Stute mit einem Schlag gegen den Rumpf vorwärts.
Kathryn weinte nicht, obwohl ihr die erlösenden Tränen diesmal willkommen gewesen wären.
Diesen Schmerz vermochten Tränen freilich nicht zu heilen.
14. KAPITEL
Wenige Tage später trafen Guy de Marche und Kathryn auf Ashbury Keep ein.
Kaum hatten sie das Tor durchritten, als Elizabeth auch schon angestürzt kam. Lachend rief sie den Namen ihrer Schwester. Kathryn glitt seitwärts aus dem Sattel, wodurch sie unbeabsichtigt ihr Profil zur Schau stellte. Elizabeths Freuden-schreie endeten unvermittelt.
Die zwei Schwestern umarmten einander. Sir Hugh kam ebenfalls hinzu. Der Earl stand neben Kathryn, doch zwischen den beiden schien eine unsichtbare Grenze zu verlaufen. Die vier Menschen tauschten Begrüßungsformeln aus; die Atmo-sphäre blieb indessen steif und unbehaglich.
Später zog sich Kathryn mit ihrer Schwester in das Gemach zurück, das seit ihren Kindertagen immer ihr Quartier gewesen war. Sie seufzte lange und erleichtert. Wieder umarmte Elizabeth sie und drückte sie heftig an sich.
„Kathryn", rief sie, „ach, du ahnst ja nicht, wie sehr du mir gefehlt hast!"
Tränen traten in Kathryns Augen; das Sprechen fiel ihr schwer. „Doch, ich kann es mir durchaus vorstellen", versicherte sie.
Elizabeth drückte ihr die Hände. Ihr Lächeln verschwand.
„Geht es dir auch gut, Schwester?" Sie hatte die Schatten unter Kathryns Augen wohl bemerkt. „Du siehst so . . . erschöpft und müde aus."
„Die Reise war nicht übermäßig angenehm." Und das war die reine Wahrheit. Das Zerwürfnis zwischen ihr und Guy hätte nicht übler sein können. Gesprochen hatten sie nur, wenn es unbedingt nötig erschien. Guy hatte es kaum jemals über sich gebracht, Kathryn anzusehen.
Sie legte sich die Hand auf den Leib. „Ich glaube, ich sollte dir etwas erklären", sagte sie leise.
Elizabeth biß sich auf die Lippe. „Ich bin tatsächlich ein wenig verwirrt", gab sie zu. „Bei deiner Abreise von hier wußtest du doch ganz genau, daß du nicht. . . "
„Ich war es auch nicht." Kathryn lachte unfroh. „Jedenfalls damals noch nicht."
Elizabeth war erschüttert. „Willst du damit etwa sagen, daß du. . . ich meine, daß der Earl. . . " Sie wurde feuerrot und sprach nicht weiter.
„Jawohl, Elizabeth. Das Kind ist von ihm." Sie las die ängstliche Frage in Elizabeths Augen. „Nein, wir sind weder vermählt noch verlobt. Auch werden wir keines von beidem je sein. Wir haben zusammen ein Kind gezeugt, doch ich versichere dir, daß Guy de Marche und ich einander herzlich wenig zugeneigt sind."
So kurz wie möglich berichtete sie ihrer Schwester davon, wie er gerade erst von ihrem Zustand erfahren hatte, und welche Mission er für den König zu erfüllen hatte.
Elizabeth nickte langsam. „Hugh hat mir erzählt, daß der Kö-
nig jeden Tag hier eintreffen kann." Sie fröstelte. „Daß sich der Earl hier befindet, macht mich schon schaudern, vom König ganz zu schweigen. Ich befürchte, ich könnte irgend etwas Falsches sagen."
„Du wirst schon alles richtig machen", versicherte Kathryn beruhigend.
Sie betrachtete ihre Schwester genauer. Im Lauf der vergangenen Monate hatte sich Kathryn um Elizabeths Wohlergehen fortwährend Sorgen
Weitere Kostenlose Bücher