Geliebter Feind
bei mir gelegen habt. Alle meinen, ich sei Eure Hure."
Guys Zorn erwachte aufs neue. „Der Teufel soll sie alle holen! Wer hat es gewagt, so etwas zu äußern?"
„Ich habe es mit eigenen Ohren gehört. Es waren zwei von Richards Rittern. Sie sagten, ich sei nicht mehr so hochmütig, seit Ihr mir einen Bastard in den Bauch gesetzt habt." Sie begann wieder zu weinen.
„Ich will nicht, daß mein Kind ein Bastard wird! Ich will nicht, daß man dieses Kind verachtet. . . und daß es dann so wird wie Onkel Richard, der selbstsüchtig und habgierig war, weil er sich immer das Wenige, das er besaß, erkämpfen mußte.
Peter wird Sedgewick erben, doch mein Kind wird nichts besitzen. Ich flehe Euch an, unterbindet diese Heirat nicht! Ge-währt meinem Kind wenigstens einen Namen!"
Guy schloß die Augen und schlang die Arme fester um Kathryn. Sie zitterte am ganzen Leibe. Ihre heißen Tränen tropften auf seine Tunika und drangen bis in sein Herz. Sie schluchzte jämmerlich, bis die Kraft sie verließ und Guy sicher war, daß in ihr keinerlei Empfindungen mehr verblieben waren.
Und ich habe sie soweit gebracht, dachte er. Ich habe Ihr die Unschuld geraubt und ihren guten Ruf zerstört. Ich habe ihr bitteres Unrecht zugefügt. Jetzt mußte er tun, was er vermochte, um alles wieder zu richten.
„Kathryn." Er rieb die Nase an der weichen Haut ihrer Schläfe. „Hört auf zu weinen." Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und hob es sich entgegen. „Eine Braut darf doch nicht am Vorabend ihrer Hochzeit weinen."
Sie blickte ihm in die Augen. „Spielt nicht mit mir." Ihre Stimme klang wegen der vielen vergossenen Tränen etwas hei-ser. „Bitte, drückt Euch klar und deutlich aus."
Guy schaute in ihr vollkommen verweintes Gesicht und stellte fest, daß sie nie schöner ausgesehen hatte. Außerdem war sein Körper weit davon entfernt, immun zu sein gegen diese herrlich weiblichen Rundungen, die sich im Augenblick so dicht an ihn schmiegten.
Gegenwärtig war Kathryn so entwaffnend wehrlos - viel zu wehrlos, hielt er sich vor. Am liebsten hätte er sie aufs Bett gelegt, ihr das Gewand ausgezogen und mit Lippen und Händen alle die faszinierenden Veränderungen erforscht, die seit ihrem letzten Zusammensein eingetreten waren.
Leider jedoch war dieses ein Haus des Herrn - darauf hatte er bereits Roderick hingewiesen - und damit kaum der passende Ort für Liebesspiele.
Er strich ihr mit dem Daumen über die zitternden Lippen.
„Ich kann mich nicht klarer und deutlicher ausdrücken", flü-
sterte er. „Nur soviel: Morgen früh wolltet Ihr Euer Ehegelöbnis sprechen, und so sei es."
Sehr sanft löste er seine Umarmung und stand auf. Wieder rollte sich Kathryn unter der Decke zusammen, doch ihr besorgter Blick folgte Guy bis zur Tür.
„Guy?"
Er drehte sich halb um.
„Ich muß es wissen . . . Werdet Ihr die Trauung tatsächlich nicht verhindern?"
Einen Moment lang betrachtete er sie ungewöhnlich ernst.
„Ich verspreche es", antwortete er schließlich. „Morgen werdet Ihr eine verheiratete Frau sein."
Am Morgen spielte sich alles wie in einem Traum ab.
Kathryn hatte tief geschlafen, obwohl sie der festen Überzeugung gewesen war, daß sie kein Auge würde schließen können. Sie erinnerte sich nur dunkel, die Glocke der Kapelle ge-hört zu haben, welche die Mönche vor ein paar Stunden zur Messe gerufen hatte.
Widerstrebend entschloß sie sich aufzustehen, als an die Tür geklopft wurde.
„Kathryn? Kathryn, bist du wach?"
Elizabeths Stimme! Kathryn erschrak. War ihre Schwester etwa hergekommen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen?
Schon öffnete sich die Tür, und Elizabeth kam herein. Ihr hübsches Gesicht war ein einziges Lächeln.
Sie umarmte Kathryn heftig. „Ach, ich kann es einfach nicht fassen, Kathryn! Du wirst heute heiraten!" Sie drückte sie fester an sich. „Siehst du? Ich wußte ja gleich, daß alles gut werden würde."
Kathryn war immer noch ein wenig benommen. „Elizabeth, ich verstehe nicht ganz . . . Wieso bist du hier?"
„Der Earl hat mich heute morgen mit der Neuigkeit geweckt", erzählte sie fröhlich. „Und da bin ich selbstverständlich hergekommen, um dir beim Ankleiden und Frisieren zu helfen, und . . . Nun, du wolltest doch deine Trauung ganz ge-wiß nicht stattfinden lassen, ohne daß deine Schwester dabei anwesend ist, nicht wahr?"
Es war eine große Erleichterung, daß Elizabeth jetzt das Kommando übernahm. Sie flocht ihr das dunkle Haar, steckte es ihr zu einem
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