Geliebter Feind
sie ganz schwach wurde und sich an ihm festhalten mußte. Dennoch versank sie in tiefer Mutlo-sigkeit, denn so berauschend und atemberaubend diese Umarmung auch war, so fehlte ihr doch alle Sanftheit und Zärtlichkeit. Kathryn fragte sich, was der Earl wohl dabei empfand. War dieser Kuß denn tatsächlich mehr als nur ein Schauspiel zur Freude seiner Leute?
Als Guy sie schließlich freigab, war ihr strahlendes Lächeln erloschen. Aus lauter Furcht, ihr Gesicht könnte den Tumult in ihrem Inneren verraten, drehte sie sich um und floh in die Halle.
Die im Hof Versammelten hielten das für ein Zeichen zur Schau gestellter Verlegenheit und brachen erneut in laute Jubelrufe aus.
Das Nachtmahl zog sich eine scheinbare Ewigkeit hin. Kathryn saß neben dem Earl am Herrentisch. Die Tafelnden lachten und lärmten, daß ihr der Schädel brummte. Der Earl dagegen erschien ihr sehr kühl und distanziert. Hatte sie ihn vielleicht mit irgend etwas verärgert?
Ihr kam ein schrecklicher Gedanke. Erst vier Tage waren sie verheiratet - fühlte er sich bereits in dieser Falle gefangen? Bedauerte er schon das heilige Ehegelöbnis, das sie beide als Mann und Frau aneinanderband? Sie seufzte leise.
Guy hörte das und blickte sie von der Seite an. „Was habt Ihr?" fragte er scharf. „Fühlt Ihr Euch nicht wohl?"
Sie schüttelte den Kopf und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Doch, mir geht es gut. Um ehrlich zu sein, ich würde jetzt nur sehr gern das Bett aufsuchen."
„Unter diesen Umständen habt Ihr meine Erlaubnis, Euch zurückzuziehen. Ich komme auch bald."
Das letzte hörte Kathryn nicht mehr richtig, denn sie war bereits aufgestanden.
Wenig später saß sie in ihrem alten Gemach auf der Bettkante und zog sich die Haube vom Kopf. Ihre Zöpfe fielen darunter hervor. Sie löste sie auf und fuhr mit den Fingern durch die dichten Strähnen, um sie zu glätten. Es klopfte, und Gerda kam herein.
Die Magd fiel vor ihrer Herrin auf die Knie. „O Lady Kathryn, ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich für Euch gefreut habe, als ich die Nachricht hörte!" Ihre Wangen waren vor Begeisterung gerötet.
Kathryn blickte dem Mädchen prüfend in die Augen. „Gerda, ich muß dir gestehen, ich war mir durchaus nicht sicher, daß es dich freuen würde."
Das Mädchen neigte den Kopf. „Weshalb sollte ich denn nicht erfreut sein?"
„Ich weiß, wie ergeben du der Lady Elaine warst", erklärte Kathryn nachdenklich. „Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast, und deshalb dachte ich, es würde schwer für dich sein, eine andere Frau ihren Platz einnehmen zu sehen - besonders wenn ich die andere bin."
Gerda war aufrichtig betroffen. „Herrin, ich schäme mich da-für, daß ich jemals schlecht von Euch dachte und daß ich Euch danach beurteilt habe, wer Ihr seid, und nicht danach, wie Ihr seid. Ich habe Euch unrecht getan, Herrin, und ich kann nur in-ständig hoffen, daß Ihr mir vergebt." Sie faßte Kathryns Hand und küßte sie.
Kathryn richtete das Mädchen langsam auf. „Gerda . . . " Sie mußte schlucken. „Da ist nichts zu vergeben. Ich weiß nicht, was ich in den vielen Monaten ohne dich getan hätte." Sie umarmte die Magd, und dann lächelten die zwei einander an; beiden waren die Tränen gekommen.
Gerda bürstete nun das Haar ihrer Herrin und half ihr beim Auskleiden. Müde, wenn auch zufrieden seufzend schlüpfte Kathryn ins Bett. Nach vier Nächten auf kaltem, hartem Erdboden wußte sie ein gepolstertes Bett besonders hoch zu schätzen.
Sie kuschelte sich ein und schloß die Augen.
Unten in der großen Halle wurde Guy langsam unruhig. Er sehnte den Augenblick herbei, da er aufstehen und sich verab-schieden konnte, ohne wie ein übereifriger Bräutigam zu wirken. Freilich war er genau das. Bei dem Gedanken an Kathryn, die jetzt in seinem Bett ruhte, rauschte ihm das Blut feurig durch die Adern.
Als einmal eine Pause in der Unterhaltung eintrat, erhob er sich und nahm seinen Abschied. Schnellen Schrittes verließ er den Saal und sprang die Treppenstufen immer zwei auf einmal nehmend hinauf.
In seinem Gemach fand er ein freundlich wärmendes Feuer vor; der Raum indessen war leer und das Bett kalt. Guy stieß einen bösen Fluch aus.
Von dem wußte Kathryn nichts, denn sie befand sich bereits in einer unbestimmten Traumwelt. . .
Dichte Nebelschwaden breiteten sich vor ihr aus. Ein riesiger Schatten, der entfernt an eine menschliche Gestalt erinnerte, hob sich aus den Schleiern. Er glitt auf Kathryn zu, erst
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