Geliebter Freibeuter
Sollte es sich wirklich um Piraten handeln, werden diese schnell Reißaus nehmen, wenn sie erst eine Breitseite von uns kassierthaben. Ich muss jetzt wieder an Deck.« Fenston tippte an seinen Hut, und Eloise schloss die Tür.
»Er hat nicht gesagt, dass es tatsächlich Piraten sind«, sagte sie zu Kate, aber auch, um sich selbst zu beruhigen. Und er hat nicht gesagt, dass es Captain Dark Flynn ist, sagte sie zu sich selbst. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten.«
Keine zehn Minuten später ging ein Ruck durch das Schiff, und gleichzeitig ertönte ein so lauter Knall, dass Kate laut aufschrie und sich die Hände auf die Ohren presste. Auch Eloise, die nie zuvor ein solch lautes Geräusch gehört hatte, zuckte zusammen. Sie hatte Angst. Dies zu leugnen, wäre eine Lüge gewesen, aber vor allem war sie äußerst beunruhigt, weil sie nicht wusste, was vor sich ging. Erneut stürmte sie zur Tür, und auch Kates Ruf konnte sie nicht aufhalten. Sie stolperte an Deck und befand sich mitten im Chaos. Rauchschwaden nahmen ihr die Sicht, und sie musste husten, aber sie hörte deutlich die scharfen Befehle:
»Laden … Lunte anzünden … und … Feuer!«
Ein zweiter Ruck und Knall, gleich darauf ein dritter und ein vierter erschütterten die
Queen Beth
. Für einen Moment legte sich das große Schiff so stark auf die Seite, dass sich Eloise krampfhaft an ein gespanntes Seil klammern musste, um nicht zu stürzen. Dann schien es ihr, als sauste direkt über ihrem Kopf etwas vorbei, und einen Augenblick später zersplitterte ein Teil der Reling in ihrer Nähe in tausend Stücke. Plötzlich war einer der Matrose neben ihr und starrte sie ungläubig an.
»Schert Euch fort!«, schrie er barsch und schubste sie grob zu der Luke zurück. »Um Himmels willen, bleibt unter Deck!«
Der Rauch lichtete sich ein wenig, und Eloise erschrak, als sie in weniger als einer Viertelseemeile längsseits einen mächtigen Zweimaster erkennen konnte. Eine Brigantine, schoss es Eloise durch den Kopf, als erneut die Kanonen donnerten. Es waren aber nicht mehr nur die Geschütze der
Queen Beth
, denn kurz nach einem Knall hörte Eloise ein knirschendes Geräusch und blickte unwillkürlich nach oben. Die Spitze des Großmastes neigte sich.
»Weg hier!«
Der Matrose versetzte Eloise einen so heftigen Stoß, dass sie den Niedergang hinunterfiel und sich schmerzhaft die Hüfte anschlug, doch wenige Augenblicke später prallten Teile des Mastes genau an der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, aufs Deck. Der Matrose hatte sich ebenfalls mit einem Sprung zur Seite retten können.
Eloise stolperte in ihre Kajüte zurück. Mit wachsbleichem Gesicht kauerte Kate in einer Ecke und zitterte. Vor Erleichterung, Eloise zu sehen, schluchzte sie laut auf.
»Die Mannschaft wird die Piraten besiegen.« Eloise war sich ihrer Worte keinesfalls sicher, aber Kate stand unter Schock, und sie musste ihre Vertraute beruhigen, obwohl ihr das Herz heftig pochte. »Die
Queen Beth
ist viel größer und hat mehr Kanonen, außerdem haben wir ausgebildete und im Kampf erfahrene Soldaten an Bord.«
Kate nickte geistesabwesend, und ihre Augen flackerten unruhig. Auf einmal schwiegen die Kanonen, aber die Schreie und Rufe an Deck wurden immer lauter. Es war, als würden plötzlich Tausende von Füßen herumtrampeln, und als Eloise das Klirren von Stahl auf Stahl und die typischen Kampfgeräusche hörte, wusste sie, dass die
Queen Beth
geentert worden war.
»O mein Gott!«
Sie kauerte sich neben Kate und legte beide Arme um sie. Würde die Mannschaft die Piraten besiegen können? Und wenn nicht – was würde mit ihnen geschehen? Würde man sie alle töten? Warum kam ihnen so nahe an den Küsten zahlreicher Inseln kein anderes Schiff zu Hilfe? Die Zeit schien sich endlos zu ziehen, aber es war noch keine Stunde vergangen, als es an Deck plötzlich still wurde – eine beängstigende Stille, die Eloise nicht zu deuten wusste. Dann polterten schwere Stiefel den Gang entlang, und jemand pochte an die Kajütentür.
»Sofort aufmachen! Na los, wird’s bald?«
Eloise und Kate sahen sich an. Es handelte sich um eine ihnen unbekannte Stimme, und keiner der Matrosen der
Queen Beth
hätte es gewagt, derart mit ihnen zu sprechen.
Langsam erhob sich Eloise, ging zur Tür und schob den Riegel zurück.
»Tu es nicht«, flüsterte Kate.
»Wir haben keine andere Wahl, sie treten sonst die Tür ein.«
Kaum war die Tür entriegelt, wurde sie auch schon
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