Geliebter Tyrann
wollen den Zwillingen beim Bauen eines Schneemanns helfen. Oder noch besser; wir fordern sie zu einem Wettkampf im Bauen von Schneemännern heraus.«
»Ja«, sagte sie lächelnd, sich von ihm lösend. Sie wischte sich mit den Knöcheln die Augen. »Du wirst denken, ich bin nicht älter als die Zwillinge.«
Er küßte sie auf die Stirn und meinte lächelnd: »Was für ein
Kind! Komm, laß uns anfangen, ehe sie den ganzen Schnee verbraucht haben.«
Eine Stimme, die vom Fluß heraufkam, lenkte sie von ihrem Tun ab: »Hallo! Ist jemand zu Hause?«
Wesley und Nicole drehten sich um und gingen zum Landungssteg hinunter.
Ein älterer, untersetzter Mann mit einer frischen Narbe auf der linken Wange schritt auf sie zu. Er trug einen Matrosenanzug und hatte einen Seesack über die Schultern geworfen. »Mrs. Armstrong?« sagte er, als er dicht vor ihnen war. »Erinnern Sie sich nicht mehr an mich? Ich bin Dr. Donaldson von der Prince Nelson .«
Er kam ihr zwar bekannt vor; doch sie wußte nicht genau, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Ein paar Fältchen erschienen in seinen Augenwinkeln, als er lächelnd sagte: »Ich gebe zu, es waren nicht die glücklichsten Umstände, unter denen wir uns kennenlernten; doch wie ich sehe, hat alles ein gutes Ende genommen.« Er streckte Wesley seine Hand hin. »Sie müssen Clayton Armstrong sein.«
»Nein«, sagte Wes, dem Mann die Hand drückend. »Ich bin ein Nachbar von ihm, Wesley Stanford.«
»Oh, ich verstehe. Nun, dann werde ich vielleicht gebraucht. Ich hoffte sehr, daß alles gut verlaufen würde. Ich meine, bei so einer jungen Lady, die so nett und hübsch ist, sollte es doch...«
»Der Schiffsarzt!« rief Nicole betroffen. »Mein Trauzeuge!«
»Ja.« Er grinste. »Sobald ich nach England kam, erreichte mich eine Botschaft, daß ich sofort nach Virginia zurückkehren sollte, da ich der einzige Zeuge sei, der bekunden könne, daß es eine erzwungene Eheschließung war. Ich kam so rasch, wie ich konnte, und bekam Anweisung, mich zur Mühle zu begeben. Das war etwas verwirrend, denn eigentlich sollte ich ja zur Armstrong-Plantage kommen, und ich wußte nicht, wer in der Mühle wohnt. Ich beschloß, es erst einmal hier bei der Mühle zu versuchen.«
»Ich bin froh, daß sie sich dazu entschlossen haben. Sind Sie , hungrig? Ich könnte Ihnen ein paar Rühreier machen mit Schinken und Speck und einem Topf Bohnen.«
»Da müssen Sie mich nicht erst zweimal bitten.«
Später, als die drei am Tisch beisammen saßen, erzählte ihnen der Doktor von dem Kapitän der Prince Nelson und seinem Ersten Maat, Frank. Beide Männer waren auf der Rückreise nach England ertrunken.
»Ich weigerte mich, mit ihnen zu segeln, nach diesem Bubenstück, das sie sich mit Ihnen geleistet hatten. Ich hätte die beiden wohl daran hindern sollen; doch ich wußte, sie würden sich einfach einen anderen Trauzeugen besorgen, und zudem kannte auch ich die Gesetze, daß man so eine Ehe annullieren kann. Ich wußte, daß ich der Zeuge bin, den Sie brauchten, wenn Sie eine Annullierung erreichen wollten.«
»Warum sind Sie denn so rasch nach England zurückgesegelt?« fragte Wes.
Der Doktor grinste. »Mir blieb eigentlich keine andere Wahl. Wir saßen alle in einer Taverne und feierten unsere sichere Ankunft. Als ich wieder aufwachte, hatte ich abscheuliche Kopfschmerzen. Es dauerte drei Tage, bis ich mich an meinen Namen erinnern konnte, und inzwischen befand ich mich schon auf hoher See.«
Ein lautes Klopfen an der Decke unterbrach ihr Gespräch und ließ Nicole zusammenfahren. »Meine Mutter! Ich vergaß ihr Frühstück. Bitte, entschuldigen Sie mich.« Rasch pochierte Nicole ein Ei und legte es vorsichtig auf eine Scheibe Weißbrot, stellte einen Teller mit einer Apfeltorte daneben und eine dampfende Tasse mit Cafe au lait. Dann eilte sie mit dem Tablett die Treppe hinauf.
»Setz dich eine Weile zu mir«, sagte Adele. »Es ist so einsam hier.«
»Ich habe einen Gast unten; doch später komme ich zu dir, und dann können wir reden.«
»Ist es ein Mann? Ist dein Gast ein Mann?«
»Ja.«
Adele seufzte. »Ich hoffe, es ist nicht einer von diesen schrecklichen russischen Fürsten.«
»Nein, er ist Amerikaner.«
»Ein Amerikaner! Sehr außergewöhnlich. Es gibt sehr wenige
Gentlemen unter ihnen. Du darfst nicht zulassen, daß er in deiner Gegenwart kräftige Ausdrücke verwendet. Und achte darauf, wie er geht. Man kann einen Gentleman immer an seiner Haltung erkennen. Wenn dein Vater Lumpen
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