Geliebter Tyrann
verhalten haben.«
Wes begann sich zu beruhigen. »Entschuldigung, ich wollte mich beherrschen; aber Nicole wirft mir ein paar schreckliche Dinge vor.«
Nicole wandte sich wieder dem Herd zu. Sie hielt noch den Schürhaken in der Hand und zeichnete damit wieder die Biegung des Flusses in die Asche, die Wes vorher skizziert hatte. Sie starrte darauf, während sie sagte: »Ich habe es nicht so gemeint. Ich kenne nur Clays Stolz. Er liebt die Plantage, und er würde sie lieber aufgeben als sie verlieren.«
»Das ergibt keinen Sinn!«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vermutlich nicht. Vielleicht habe ich nur Schwierigkeiten, mich auszudrücken. Wes, gibt es denn keine Möglichkeit, zu verhindern, daß der Fluß über seine Ufer tritt?«
»Vielleicht helfen Gebete. Wenn der Regen aufhörte, könnte das Wasser noch rechtzeitig abfließen.«
»Warum wird sein Land nicht jedes Jahr überschwemmt? Warum kommt das nur gelegentlich vor?«
»Der Lauf des Flusses verändert sich. Clays Großvater erzählte uns, als wir noch Kinder waren, daß es in seiner Jugendzeit keine Niederung gab, sondern daß der Fluß jedes Jahr ein wenig den Lauf änderte und dabei Land am Hügel anschwemmte.«
»Hier«, sagte sie und trat von der Skizze in der Herdasche zurück. »Zeig mir, was du meinst.«
Er beugte sich über den Herd. »Ich vermute, der Fluß versucht hier eine Schleife zu ziehen. Diese Kurve war einmal breiter, gerader; doch mit den Jahren hat sie sich verändert.«
Sie studierte die Karte. »Was du damit sagen willst, ist, daß der Fluß den Boden auf meiner Seite abträgt und ihn drüben auf dem niedrigen Ufer von Clay wieder anschwemmt.«
Wes blickte überrascht zu ihr hoch. »Ich glaube nicht, daß du dir deswegen Sorgen machen müßtest. Es wird mindestens noch fünfzig Jahre dauern, bis der Fluß eine nennenswerte Menge von deinem Land weggeschwemmt haben wird.«
Nicole ignorierte seinen Blick. »Was wäre, wenn wir dem Fluß freiwillig gäben, was er sich holen möchte?«
»Was redest du da?« brauste Wes auf. Er glaubte, sie habe etwas Eigensüchtiges vor, aus Sorge, der Fluß könne ihr Land verschlingen.
»Nicole...«, sagte Janie, »mir gefällt dein Ton nicht.«
Nicole nahm ein kleines Holzscheit zur Hand. »Was ist, wenn mein Land hier durchstochen wird?« Sie zog eine Linie von einer Windung des Flusses zur anderen. »Was würde dann passieren?«
»Das Gelände ist naß und steil. Vermutlich würde es abbröckeln und in den Fluß fallen.«
»ünd wie würde das den Wasserstand beeinflussen?«
Seine Augen weiteten sich, als er zu begreifen begann, was in ihrem Kopf vorging. »Nicole, das kannst du nicht tun. Man würde tagelang graben müssen, und das Land, das dann ins Wasser fällt, trägt deinen Weizen.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Würde das den Wasserstand senken?«
»Es würde dem Fluß mehr Raum geben, daß er sich ausdehnen kann. Aber wer weiß das schon?«
»Ich frage dich nach deiner Meinung, nicht nach der absoluten Wahrheit.«
»Ja, verdammt noch mal! Der Fluß würde vermutlich mit Freuden lieber dein Land verschlingen, statt Clays Felder zu überschwemmen. Das verdammte Wasser fragt doch nicht, wem was gehört!«
»Vielleicht könntest du dich in Gegenwart von Kindern etwas gewählter ausdrücken«, sagte Nicole vorwurfsvoll. »Was wir jetzt brauchen, sind Schaufeln. Und Hacken für die Wurzeln und Steine, und...«
Wes unterbrach sie: »Hast du mal einen Blick durch das Fenster geworfen? Der Regen strömt in solchen Massen herunter, daß er einen Menschen erschlagen könnte! Unddu redest davon, daß wir in diesem Wetter arbeiten sollen.«
»Ich wüßte nicht, wie wir sonst einen Graben ausheben könnten. Vielleicht kannst du ihn hierher ins Haus bringen, wo es gemütlich ist und warm.«
»Ich kann das nicht zulassen«, sagte Wes energisch. »Clay kann es auch ohne dein Opfer schaffen. Travis und ich werden ihm Geld leihen, und im nächsten Jahr wird es wieder bergauf gehen.«
Nicole blickte ihn eisig an. »Wirklich? Wird es nächstes Jahr bergauf gehen? Schau dir doch an, was wir ihm angetan haben. Wir haben ihn alle aufgegeben. Er ist ein Mann, der eine Familie braucht Er war glücklich, als er noch seine Eltern hatte, James, Beth und die Zwillinge. Dann hat einer nach dem anderen ihn verlassen. Eine Weile lang gab ich ihm meine Liebe; doch dann nahm ich sie ihm wieder weg - und die Zwillinge dazu.« Sie hob einen Arm und deutete in die Richtung von Arundel Hall.
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