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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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die mit leerem Magen von oberen Pritschen zugucken. Aber einer der Grundsätze der ehemaligen Kulaken lautet: Essen wird nicht geteilt.
    Zu den wenigen Nicht-Kulaken, die noch einen kleinen Vorrat haben, gehört Artur. Er futtert, in der Ecke versteckt, aufgesparte Konserven. Mein Laib Brot, den mir Veronika nach Ossokarowka gebracht hat, ist aufgebraucht. Da verbreitet sich das Gerücht, wir bekämen Verpflegung. Endlich! Alle sind hellwach, doch die Ernüchterung lässt nicht lange auf sich warten: Zwar gibt es Brot, aber nur einen einzigen Laib pro Waggon, für 50 Leute! Jemand schlägt vor, es unter denen, die nichts mehr zu beißen haben, zu verteilen. Dafür bin ich natürlich auch! Doch da erhebt sich lautstarker Protest. Einer der Ex-Kulaken geifert gar, ich hätte überhaupt kein Recht, hier mitzubestimmen. Ich sei «Deutschländer» und aus freien Stücken nach Russland gekommen und hätte es verdient, so behandelt zu werden. In Schutz nimmt mich niemand.
    Am Ende schneidet der Zugführer den Brotlaib der Länge nach durch und teilt beide Hälften mit einem von Artur entliehenen Zentimetermaß (was der so alles in seinem Koffer hat!) in 25 Scheiben à neun Millimeter. Alle beobachten argwöhnisch, wie sich das Messer auf und ab bewegt, ereifern sich darüber, dass jene Scheibe dicker, diese nicht ganz so hoch oder eine andere schief abgesäbelt sei. Manche verlangen, auch die beim Schneiden entstehenden Krümel gerecht zu verteilen. Ich nehme meinen Teil und esse ihn, sorgfältig kauend, sofort auf.
    Eine Weile stehen wir in einem Vorort von Swerdlowsk. Von dort aus geht es Richtung Norden. Plötzlich kommt das Gerücht auf, dass man uns nach Soswa bringe. Indes weiß niemand, wo Soswa liegt. So wird gerätselt und gestritten. Ich habe eine kleine Karte der Sowjetunion dabei, aber auf ihr ist dieser Ort nicht verzeichnet.
    Irgendwann ebbt das Interesse für unser Reiseziel spürbar ab. Die Leute werden langsam apathisch. Die Wolgadeutschen berichten einander in ihrem seltsamen Dialekt, was sie geträumt haben, und übertrumpfen sich in üblen Deutungen ihrer Geschichte. Kaum noch Zuhörer findet ein Mann aus Baku, der ununterbrochen Witze erzählt, zum Teil gar nicht schlechte. Manche liegen reglos auf den Pritschen und dösen vor sich hin. Einer summt mit abwesendem Gesichtsausdruck kaum hörbar kirchliche Lieder. Ein anderer erzählt seinem Nachbarn zum wiederholten Mal, mit welchen Kräutern seine Frau ihre Lieblingssuppe zu würzen pflegt …
    Am Morgen des 16. oder 17. Tages (ich bin mit dem Zählen durcheinandergekommen) zuckelt der Zug mal wieder im Schneckentempo dahin. Die meisten schlafen noch. Sie werden von quietschenden Bremsen geweckt. Der hohle Klang verrät, dass draußen bitterer Frost herrscht. In der plötzlichen Stille hört man undeutliche Rufe, Frauenstimmen. Durch den Türspalt sehen wir einen Holzlagerplatz. Tiefverschneite Stapel von Bau-, Nutz- und Brennholz, dazwischen vermummte Gestalten. Einige kommen näher, andere winken. Weiter entfernt stehen zwei (ebenfalls vermummte) Soldaten, die ohne besonderen Schneid «He, ihr da, zurück!» rufen. Darum scheinen sich die Frauen – denn als solche erkennt man die Gestalten trotz ihrer Vermummung – nicht zu kümmern. «Woher kommt ihr?», rufen sie und: «Was seid ihr für welche?»
    Eine, die sich weiter vorgewagt hat, kreischt: «He, Mushiki! Männer! Das gibt ein tolles Geficke – budet mirowaja jeblja !»
    Aue drängt sich zur Waggontür und schreit etwas Unanständiges zurück. Auch aus anderen Waggons ruft man den Frauen Anzüglichkeiten zu. Diese revanchieren sich mit Obszönitäten.
    Das Geschrei wird durch das Anrucken der Lokomotive unterbrochen. Es wird rangiert. Einige Wagen werden abgekettet. Dann kommt der restliche Zug wieder in Fahrt, allerdings fahren wir sechs oder sieben Kilometer zurück, zu einem Haltepunkt, der, wie ich später erfahre, Bolschaja Kossolmanka heißt. Hier sieht es genauso aus wie beim vorigen Halt: ein verschneiter, von Wald umsäumter Holzlagerplatz – nur ohne Frauen.
    Am Zug laufen Leute auf und ab. Wir hören, wie ein Mann von Waggon zu Waggon geht und befiehlt: «Alle Mann aussteigen! Mit Sachen!» Auch unsere Waggontür wird aufgerissen. Offenbar sind wir am Ziel angelangt. Nun muss es ja bald etwas zu essen geben. Aber zuerst heißt es antreten. Während ich zusammen mit etwa 400 Leuten in der Kälte stehe, schaue ich mich um. Viel zu sehen gibt es nicht: Hinter uns ein paar

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