Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils

beginnen.
    Sie griff in ihre Büchertasche nach den Pralinen und zog einen Trüffel hervor. Für einen Moment bewunderte sie die gehackten Haselnüsse, mit denen er überzogen war, dann biss sie hinein. Fiona schmeckte cremigen Kaffee und Lavendelstückchen. Die Textur war ein wunderbarer Kontrast aus seidiger Glätte und körnigen Einsprengseln, und sie erschauerte vor Entzücken.
    Dann schluckte sie die Praline.
    Linda schaute herein – wahrscheinlich, um Fiona einen weiteren Blick zu schenken, der hätte töten können.
    Fiona hatte es satt, für Julies Entscheidungen verantwortlich gemacht zu werden, also verpasste sie Linda ihrerseits einen hasserfüllten Blick.
    Linda wurde blass und senkte den Blick.
    »Johnny hinkt mit den Bestellungen hinterher«, sagte Linda. »Die Gäste beschweren sich schon … ein bisschen.« Sie eilte zurück in den Speisesaal.
    Fiona schämte sich. Linda war nur gekommen, um ihr wegen Johnny Bescheid zu sagen.
    Warum war sie auf alle wütend? Fiona starrte in ihre Büchertasche und den halb offenen Pralinenkasten. Konnte es an all dem Zucker liegen?
    Dann ging ihr auf, was Linda ihr gesagt hatte. Johnny hinkte mit den Bestellungen nie hinterher. Vielleicht war der neue automatische Geschirrspüler explodiert. Fiona marschierte zurück in den Speisesaal und wies Linda an, sich um den Eingangsbereich zu kümmern.
    Linda strahlte und nahm die Schürze ab.
    Fiona ging in die Küche weiter.
    Dort waren Töpfe mit kochender Marinarasauce, abtropfende
Nudeln, ein brummender Geschirrspüler … aber kein Johnny. Fiona ging zum Männerumkleideraum und klopfte. Keine Antwort.
    Johnny hätte nie etwas unbewacht auf dem Herd gelassen, wenn er keinen guten Grund dazu gehabt hätte.
    Fiona stellte die Flammen ab.
    Die Hintertür öffnete sich, und Johnny tauchte auf. Er sah aus wie jemand, der nur mit knapper Not einem Zusammenstoß mit einem Lastwagen entgangen war.
    » Madre de Dios «, flüsterte er; dann sah er Fiona. »Ich wollte dich gerade holen, Señorita . Da ist ein Mann im Gässchen. Er sagt …« Johnny verzog besorgt das Gesicht. »… dass er dich kennt.«
    »Oh.« Fionas Wut flammte erneut auf. »Der.«
    Es war sicher der alte, unheimliche Kerl, der zurückgekommen war, um mehr kostenlose Pizza zu ergattern. Oder vielleicht wollte er Eliot wieder belästigen. Sie würde dem Penner die Meinung sagen und vielleicht die Polizei rufen.
    Um die Wahrheit zu sagen, Fiona wollte wütend auf jemanden sein. Linda, Johnny, sogar Julie … es war nicht fair, wütend auf sie zu sein. Sogar Eliot, der manchmal eine Nervensäge war, hatte ihren ungerechtfertigten Zorn nicht verdient. Aber der alte Penner – auf den konnte sie wütend sein, und es würde niemanden stören.
    Sie stürmte durch die Hintertür; ihr Ärger fühlte sich wie eine Million Ameisensoldaten an, die unter ihrer Haut herumkrabbelten.
    Der alte Mann hatte ihr den Rücken zugewandt.
    Die Tür fiel laut zu, und er drehte sich um.
    Er trug einen langen, schwarzen Ledermantel, enge Jeans, ein T-Shirt mit den Worten GENUG GEHÖRT – JETZT ZEIG’ ICH’S EUCH und einen Cowboyhut mit Schlangenlederhutband und Klapperschlangenrassel.
    Das war nicht der alte Penner. Jeder Anflug von Feuer in Fiona kühlte zu Asche ab.
    »Onkel Aaron«, flüsterte sie.
    War er hier, um ihnen die zweite Prüfung anzukündigen?
War das nicht Roberts Aufgabe? Oder hatte der Rat irgendeine andere, unangenehmere Nachricht? Etwa, dass sie die erste Prüfung nicht richtig bestanden hatten, und Onkel Aaron kam nun, um … was? Sie und Eliot zu töten?
    Ein Kampf-oder-Flucht-Adrenalinstoß durchflutete ihren Körper. Fiona leckte sich die Lippen und schmeckte Schokolade.
    Sie würde kämpfen.
    Sie war es leid, herumgestoßen zu werden. Selbst, wenn Aaron wirklich hier war, um etwas Fürchterliches zu tun, würde sie dafür sorgen, dass sie hocherhobenen Kopfes dastand, wenn es passierte.
    Sie starrte ihm in die bodenlos tiefen braunen Augen.
    Aaron musterte sie seinerseits.
    Sein Gesicht war zerfurcht und kantig. Der Schnurrbart hing ihm über beide Wangen. Trotz seines Country-Western-Aufzugs fand Fiona immer noch, dass er aussah, als hätte er den Angriff einer berittenen Mongolenhorde anführen sollen.
    Er würde nicht blinzeln. Niemals.
    Nun, das würde sie auch nicht tun. Sie hatte in die unendlich tiefen Augen eines Krokodils geblickt, das sich selbst mit gutem Grund den »Todesverschlinger« genannt hatte. Danach konnte Aaron ihr keine Angst mehr