Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemma

Gemma

Titel: Gemma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Last
Vom Netzwerk:
haben,
und als er seinen Blick nach oben gerichtet hatte, hatte er gesehen, wie die Takelage auf ihn
hinabstürzte. Wie schwer war er verletzt gewesen? Tabby hatte von
Beinabschneiden gesprochen, aber sicherlich war das übertrieben. Wäre die
Verletzung so schwer gewesen, wäre das Bein brandig geworden. Vorsorglich sog er die Luft ein, aber er konnte
keinen Geruch nach verfaulendem Fleisch wahrnehmen. Anscheinend war die Wunde
jetzt sauber. Probehalber spannte er die Oberschenkelmuskeln an, aber der
stechende Schmerz, der sein Bein bei dem Versuch durchzuckte, belehrte ihn
eines Besseren.
    Fluchend hieb Bryce mit der geballten Faust
auf die Matratze.
    »Ihr verdankt der Misses Euer Bein, wenn nicht sogar Euer Leben.« Tabbys
etwas wässriger Blick war nun auf Bryce gerichtet. »Ihr solltet ihr dankbar
sein, anstatt sie immer nur zu beleidigen.«
    »Was weißt du schon, Tabby«, fragte Bryce bitter. »Kennst du ihre
Motive? Weißt du, mit welchem Hintergedanken sie mich gepflegt hat? Du kennst
sie nicht so gut wie ich.«
    »Ich glaube, da irrt Ihr Euch, Sir. Ich glaube, ich kenne Miss
Gemma sehr viel besser als Ihr, und ich bin nicht mit ihr verheiratet.« Ohne
ein weiteres Wort drehte Tabby sich um und ließ Bryce mit seinen brütenden
Gedanken allein.
    Gemma lehnte an der Reling. Eine sanfte Brise hob spielerisch eine
Locke an, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
    »Tabby, kann ich dich etwas fragen?«, fragte sie den alten Diener,
der neben sie getreten war. Gedankenverloren strich sie sich das Haar zurück
hinter die Ohren.
    »Natürlich.« Der alte Diener lehnte neben ihr. Noch immer trug er
den rechten Arm in der Schlinge, aber er ließ es sich nicht nehmen, Gemma schon
wieder zur Hand zu gehen.
    »Wie war Bryce als Kind?«, wollte Gemma wissen. Gespannt
richteten sich ihre Augen auf Tabbys Gesicht.
    Die runzeligen Züge verzogen sich zu einem Grinsen. »Ein kleiner
Teufel, das war er.«
    Gemma lächelte. Ja, das konnte sie sich gut vorstellen.
    »Schon als Baby war er ein aufgeweckter kleiner Kerl. Und als er
älter wurde – ich hatte manchmal Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Und damals
war ich noch bedeutend jünger«, setzte Tabby hinzu.
    »Wie lange kennst du ihn schon?«
    »Eigentlich sein ganzes Leben. Ich stand schon im Dienste der
Familie, als Master Bryce geboren wurde, und als er älter wurde, ernannte sein
Vater mich zu seinem persönlichen Diener. Seitdem bin ich bei ihm.«
    Gemma sah hinaus auf die Weite des Ozeans, dessen Farbe sie an
Tagen wie diesem an das stürmische Grau in Bryce' Augen erinnerte. Es gab so
vieles, das sie wissen wollte, so vieles, das sie Tabby gern gefragt hätte,
aber sie brachte die Worte nicht über die Lippen.
    »Tabby?«, fragte Gemma nach einer Weile.
    »Hmm?«
    »Warum ist Bryce so kalt und abweisend? Er lässt niemanden an sich
herankommen. Zuerst dachte ich, es lag nur an mir, aber ich glaube, er
behandelt alle Menschen so, sogar Jessup und dich.«
    Tabby schwieg lange, und Gemma erwartete fast, dass er ihr nicht
antworten würde. Wie konnte er auch? Er war Bryce verpflichtet, und Bryce würde
es sicherlich nicht gutheißen, wenn er erfuhr, dass Tabby über ihn sprach.
    »Er war nicht immer so.«
    Erstaunt sah Gemma ihn an. Ihre Augen flehten stumm, er solle
weitersprechen.
    »Ich weiß nicht, ob Ihr es wisst, aber Master Bryce hatte einen
älteren Bruder«, fuhr Tabby fort. Gemma nickte. Sie hatte sein Bildnis in
Kenmore Manor gesehen.
    »Master Robert war fünf Jahre älter und natürlich stand fest, dass
eines Tages die Ländereien und der Titel auf ihn übergehen würden. Die beiden hatten nicht allzu viel gemeinsam.
Während Master Bryce ein regelrechter Wildfang war, der nie lange stillsitzen
konnte, wurde Master Robert auf seine spätere Rolle als Baron vorbereitet. Es
ist zwar kein wichtiger Titel, aber dem alten Baron bedeutet er sehr viel.«
Tabby machte eine Pause.
    »Der alte Baron, Bryce' Vater, schenkte Master Bryce nie besonders
viel Aufmerksamkeit.« Stirnrunzelnd dachte Gemma an die beinahe
überschwängliche Begrüßung in Kenmore, aber sagte nichts, um Tabby nicht zu
unterbrechen.
    »Niemand
wusste, warum das so war, auch ich habe dafür keine Erklärung, aber es war
immer nur Master Robert, der für ihn zu zählen schien. Alles, was Robert tat
oder sagte, war richtig. Bryce hingegen konnte es seinem Vater nie recht machen,
egal wie sehr er es auch versuchte. Also hörte er irgendwann auf, es zu
versuchen. Er litt darunter, aber er ließ es

Weitere Kostenlose Bücher