Gemma
Strafarbeiter?«, fragte Gemma leise, ängstlich
einer der Männer könnte sie hören.
»Nein, das sind Sklaven.« Beruhigend legte Bryce eine Hand über
ihre. »Sie werden dir nichts tun.«
»Aber warum werden sie denn geschlagen? Sie haben doch gar nichts
getan.« Gemmas blaue Augen richteten sich groß und fragend auf Bryce. Er
fühlte, wie ihm das Herz warm wurde unter Gemmas Blick. Sie war so liebenswert
und schien wirklich keiner Fliege etwas zuleide tun können.
»Ihre Besitzer können mit ihnen tun und lassen, was sie wollen,
Gemma. Niemand anders darf sich da einmischen.«
»Kannst du nicht wenigstens dafür sorgen, dass sie nicht
geschlagen werden, wenn sie an Bord der Dragonfly sind?«, fragte Gemma
verzweifelt und wandte den Blick ab, als erneut Leder in menschliche Haut biss.
Sie spürte, wie ihr Magen bis in ihre Kehle stieg. Bryce sah sie einen Moment
an, bevor er Johnson zu sich winkte.
»Sag Faubourg, er soll die Sklaven nicht schlagen, solange sie für
mich arbeiten, hörst du.« Johnson sah überrascht aus, tat aber, wie ihm
aufgetragen wurde. Der Mann, den Bryce Faubourg genannt hatte, sah wütend aus,
aber er setzte die Peitsche nicht länger ein.
»Zufrieden?«, fragte Bryce mit einem Blick auf Gemma.
»Ja«, antwortete sie leise. »Ich danke dir.«
Bryce seufzte. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so auf
Sklavenhaltung reagierst. Du sollst wissen, dass es auch auf meiner Plantage
Sklaven gibt.«
Gemma spannte die Schultern. »Werden sie auch so menschenunwürdig
behandelt wie diese hier?«, fragte sie bitter.
Bryce schüttelte den Kopf. »Nein. Sie werden gut behandelt. Sie
haben saubere Unterkünfte, gutes Essen, anständige Kleidung und werden nicht geschlagen.«
Gemma nickte. »Aber warum Sklaven?«, fragte sie nach einer Weile.
»Wäre es nicht humaner, freie Arbeiter zu beschäftigen?«
»Vielleicht. Aber freie Arbeiter kosten Lohn, und viele
Plantagenbesitzer haben so viel Land zu bestellen, dass sie Lohnarbeiter gar
nicht bezahlen könnten.«
»Aber du könntest doch Lohnarbeiter bezahlen, oder nicht?«, wollte
Gemma wissen. Bryce seufzte.
»Ja, schon. Aber was wird mit den Sklaven auf
meiner Plantage? Ich darf sie nicht freilassen, und soll ich sie verkaufen?
Wer weiß, wohin sie kommen und wie sie dort behandelt werden. Auf Belle Elysée
weiß ich wenigstens, dass es ihnen gut geht.«
»Es ist trotzdem grausam, Menschen wie Vieh
zu halten.«
»Da gebe ich dir Recht. Ich würde auch gern
auf Sklavenhaltung verzichten, aber es gehört nun einmal zur Tradition der
Südstaaten. Wenn hier jemand auf Sklavenhaltung verzichtet, wäre er
automatisch ein Außenseiter, ein Ausgestoßener. Und es ist verdammt schwierig,
mit irgendjemandem Handelsbeziehungen zu betreiben, wenn man nicht akzeptiert
wird.« Bryce konnte in Gemmas Gesicht lesen, dass sie darüber nicht glücklich
war, und konnte sie verstehen, fühlte er doch genauso. Aber was für eine Wahl
blieb ihm?
Die ersten
Händler hatten bereits am Tage zuvor die Laderäume der Dragonfly inspiziert
und einen Teil der Waren für sich reservieren
lassen, die nun ohne Umwege in ihren Lagerhäusern verschwanden. Gemma war
überrascht, welche Nachfrage vor allem nach Luxusgütern bestand. Auch wenn sie
gewusst hatte, dass Amerika in weiten Teilen längst nicht mehr nur
unzivilisierte Wildnis war, so hatte sie dennoch nicht damit gerechnet, dass
das Konsumverhalten der Alten und der Neuen Welt sich so wenig unterschied. Tee
aus Indien und Gewürze aus allen Teilen des Orients wurden, verpackt in riesige
Säcke, aus dem Bauch der Dragonfly hinauf ins Licht gebracht. Kostbare
Stoffe, hauchdünne, golddurchwirkte Seide und edelster Brokat waren ebenso
vertreten wie Champagner aus Frankreich und Wein vom Rhein.
Es war Anfang Dezember, aber die Luft hier im
Süden Amerikas war mild und umschmeichelte Gemmas Wangen. Tief sog sie den Duft
der aufregenden neuen Welt ein, während ihre Augen sich nicht satt sehen
konnten an dem Neuen, das sich ihnen darbot. Baumwolle, zu Ballen gepresst,
wartete darauf, verladen zu werden. Fässer mit Molasse waren am Kai aufgereiht,
um bald in andere Regionen des Landes oder sogar nach Europa gebracht zu
werden.
Fliegende Händler boten ihre Waren feil, und dunkelhäutige Frauen
mit Turbanen in allen Farben des Regenbogens auf ihren Köpfen eilten die engen
Gassen entlang.
Endlich war auch das letzte Stück Ladung aus dem Laderaum an Land
gebracht worden. Bryce hatte bereits einige Kaufverträge
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