Gene sind kein Schicksal
Generationen hinweg läuft. Töchter von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes entwickelten – unabhängig von ihrer genetischen Ausstattung – später im Leben selbst gehäuft Übergewicht und einen Schwangerschaftsdiabetes und würden dann ihrerseits die nächste Generation programmieren.
Zu dieser Prägung kann es einerseits kommen, weil die noch unreife Bauchspeicheldrüse des Ungeborenen überfordert ist. Zum anderen beeinflusst der Lebensstil die Hirnzentren für die Sättigung und für die Regulation des Körpergewichts und verändert offenbar die Aktivität der Gene im Hypothalamus, dem Sättigungszentrum im Zwischenhirn. Das zumindest haben Plagemann, Dudenhausen und ihre Mitarbeiter an der Berliner Charité in Fütterungsexperimenten zeigen können. [32]
Sie päppelten und mästeten Mäusebabys, so dass deren Blut vor lauter Zucker schon fast zähflüssig wurde und sie gewaltige Fettpolster anlegten. Doch die Mäuse waren nicht nur äußerlich verändert, sondern auch in den Nervenzellen des Hypothalamus: Das Gen für das Proopiomelanocortin ( POMC ) war stark methyliert und damit offenbar heruntergedrosselt. Normalerweise entstehen aus dem POMC verschiedene Hormone, die das Körpergewicht und das Hungergefühl beeinflussen. Die Forschungsergebnisse legen nahe: Eine Mast nach der Geburt stellt einen epigenetischen Risikofaktor für Fettleibigkeit später im Leben dar.
Aus diesem Grund kann auch ein geringes Geburtsgewicht für Typ- 2 -Diabetes mellitus anfällig machen – weil besonders leichte Babys in den ersten Lebenstagen und -monaten besonders stark gemästet werden, damit sie so schnell wie möglich Gewicht zulegen. Diesen Zusammenhang haben Günter Dörner und seine Mitarbeiter ebenfalls schon in den 70 er Jahren in der DDR zeigen können, und zwar in einer Studie mit 5000 Kindern. Die eifrigsten Milchtrinker und Breiesser unter ihnen nahmen in den ersten drei Monaten besonders viel zu (nämlich mehr als drei Kilogramm) – 15 Jahre später waren knapp zwanzig Prozent von ihnen übergewichtig, eine besonders hohe Rate für die damalige Zeit.
Dünn bleiben mit Muttermilch
Oft haben Ärzte genau solch eine Turbomast empfohlen: Je schneller das Fett auf die Rippen kommt, desto besser für die Babys – es war ein Trugschluss, der den Kindern womöglich mehr Schaden gebracht hat als Nutzen.
In England haben Ernährungswissenschaftler untersucht, wie früh geborene Babys auf unterschiedliche Nahrung reagieren. Per Losverfahren teilten sie die Kinder in zwei Gruppen ein: Die einen Babys wurden ganz normal gefüttert; die anderen erhielten Nahrung, die mit Zucker und Proteinen angereichert war. So ging das vier Wochen lang oder so lange, bis das jeweilige Kind ein Gewicht von zwei Kilogramm erreicht hatte. Danach durften alle Kinder vier Wochen lang die Nahrung essen, die ihre Eltern ihnen gaben. Zwanzig Jahre später haben die Forscher die Menschen ein weiteres Mal untersucht: In jenen, die damals die angereicherte, besonders kalorienreiche Kost erhalten hatten, war der Insulinspiegel erhöht, was als Risifaktor für einen Typ- 2 -Diabetes mellitus gilt. [33]
Weil Fertigmilch die Gewichtszunahme eines Neugeborenen unnatürlich beschleunigen kann, sollten Mütter während des ersten Lebensjahrs darauf verzichten und, wenn es ihnen möglich ist, stillen. Mit jedem Stillmonat wird das Risiko für späteres Übergewicht offenbar kleiner. In seiner Loggia nickt Günter Dörner zustimmend – ganz neu ist ihm die Erkenntnis freilich nicht. Schon früh hat er die Bedeutung des Stillens für das Kind erkannt und auf die Behörden eingewirkt. Die DDR hat deshalb 1986 das bezahlte Babyjahr vom ersten Kind an eingeführt.
Allerdings kann auch Muttermilch zu viel des Guten enthalten. Das haben Forscher gemerkt, als sie genetisch ähnliche Mäusebabys dünnen und dicken Ammen zuteilten. [34] Knapp drei Wochen lang tranken die Kleinen die Milch der fremden Muttertiere, dann wurden sie gewogen: Jene Mäuse, die von einer dünnen Amme ernährt worden waren, wogen im Durchschnitt 10 , 7 Gramm. Diejenigen, welche die Milch einer fettleibigen Ersatzmutter getrunken hatten, brachten deutlich mehr auf die Waage: 14 , 4 Gramm. Die Milch der fülligen Ammen war ein wahrer Dickmacher. Der Fettgehalt war verdoppelt ( 40 Prozent statt sonst 22 Prozent) und die Menge des Hormons Leptin um das Vierfache erhöht. Leptin hat eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Speckpolstern.
Die Frage, ob man eher
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