Gene sind kein Schicksal
schwer wird, entscheidet sich offenbar ein Stück weit in der postnatalen Phase, in der auch noch der Hypothalamus (das Sättigungszentrum im Gehirn) besonders formbar ist. In diesem kritischen Zeitraum kann die spätere Konstitution auch dadurch beeinflusst werden, wie viele Geschwister man hat – zumindest ist das so bei Mäusen: Die Größe eines Wurfes schwankt zumeist zwischen drei bis acht Sprösslingen. Babys, die in eine kleine Familie hineingeboren werden, werden eher dick und bleiben es; Mäuse aus einem großen Wurf bleiben dünner. Wie bedeutend die Ernährung nach der Geburt ist, das lässt sich schließlich auch erkennen, wenn man frisch geborene Nagetiere in einen anderen Wurf gibt. In einem Experiment kamen Babys dünner Rattenmütter am zweiten Lebenstag zu einer dicken Amme: Sie wurden und blieben auch nach dem Abstillen besonders dick, hatten einen gestörten Zuckerstoffwechsel, was mit auffälligen Veränderungen im Hypothalamus einherging. [35]
Die Gegenprobe sah so aus: Babys von dicken Müttern kamen zu dünnen Ammen. Die Kleinen blieben zwar übergewichtig, jedoch nahmen sie später deutlich weniger Futter zu sich als Kinder, die von einer dicken Mutter geboren und gestillt worden waren. Des Weiteren hatten sie einen verbesserten Zuckerstoffwechsel – und bestimmte Gene in ihrem Hypothalamus (dem Sättigungszentrum) waren verstärkt aktiv.
Der Wechsel von der dicken Mutter zur dünnen Amme hat also in den Babys noch viel bewirkt – diese Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung:
Die Prägung im Mutterleib kann nach der Geburt noch verändert und überwunden werden. Die Schwere der vorgeburtlichen Prägung hängt von den Substanzen ab, die auf das ungeborene Kind einwirken. Chemikalien wie Trinkalkohol sind extrem und können bleibende Effekte haben. Sie können die embryonalen und fetalen Zellen derart umprogrammieren, dass eine normale Entwicklung nicht mehr möglich ist – was zu solch schwerwiegenden angeborenen Erkrankungen wie dem embryofetalen Alkoholsyndrom führt.
Hormone und Neuropeptide im Mutterleib dagegen prägen einen deutlich schwächer. Der Lebensstil kann die perinatale Prägung in vielen Fällen übertrumpfen, weil er die Gene neu programmiert.
II Die Seele
Kapitel 5 Vom Wahnsinn in den Genen
Warum gehen die einen Menschen fröhlich durchs Leben, während die anderen sich von den Ärgernissen, die das Dasein so mit sich bringt, unterkriegen lassen und darüber regelrecht depressiv werden? Warum stecken manche den Verlust der Arbeit oder eine Scheidung locker weg, während andere darüber zerbrechen? Eine Antwort hat vor einigen Jahren eine Studie von Psychologen vom King’s College London geliefert: Der Unterschied liege in den Erbanlagen. Menschen, die mit einer bestimmten verkürzten Genvariante auf die Welt kommen, könnten unerfreuliche Ereignisse kaum verwinden und erkrankten gehäuft an Depressionen.
Auf diese verhängnisvolle Verwundbarkeit wollen die Psychologen Terrie Moffitt und Avshalom Caspi gestoßen sein, als sie die Lebensdaten von 847 Menschen aus Neuseeland untersuchten. [36] In der sogenannten Dunedin-Studie waren die Testpersonen von Geburt an bis zum Alter von 26 Jahren nachverfolgt worden. Aus diesen Daten filterten die Psychologen heraus, ob sie seit dem 21 . Geburtstag Ereignisse erlebt haben, die das Risiko für Depressionen erhöhen. Scheidungen, Obdachlosigkeit, Schulden, Arbeitslosigkeit, schwere Erkrankungen, der Verlust eines Familienmitglieds – solche belastenden Episoden wurden vermerkt. Ebenso ermittelten die Forscher, wer unter den Studienteilnehmern zum Zeitpunkt der Befragung oder ein Jahr davor an einer Depression erkrankt war.
Im nächsten Schritt wollten die Psychologen herausfinden, ob es eine biologische Anfälligkeit für Depressionen gab. Sie entschieden sich, ein Gen mit der kryptischen Bezeichnung
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zu untersuchen, weil es unsere Gehirnchemie und damit auch unsere Gemütsverfassung beeinflusst.
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stellt einen Transporter her, der reguliert, wie viel Serotonin im Gehirn vorhanden ist. Serotonin ist ein Neurotransmitter, der wie ein Stimmungsaufheller wirken kann. Allerdings kommt das
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in zwei Versionen daher: in einer etwas längeren und in einer etwas kürzeren. Weil nun jeder Mensch zwei
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-Kopien erbt (eine von der Mutter und eine vom Vater), gibt es in der Bevölkerung drei
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-Kombinationen. Bei den Probanden entsprach die Verteilung dem zu erwartenden Muster, und sie sah so
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