Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
Vom Netzwerk:
aus: 31  Prozent trugen lang/lang, 51  Prozent lang/kurz und 17  Prozent kurz/kurz.
    Terrie Moffitt und Avshalom Caspi glichen nun die genetischen Daten mit den unerfreulichen Lebenserfahrungen ab – und kamen zu einem scheinbar sensationellen Ergebnis: Das kurze
5
-htt
-Gen mache die betreffenden Menschen, bei sonst gleicher Belastung durch die Umwelt, anfällig für Depressionen. Der Effekt ließ sich zumindest für Teilnehmer errechnen, die vier oder mehr Tiefschläge hinnehmen mussten: Menschen mit vier oder mehr stressigen Ereignissen und zwei kurzen
5
-htt
-Genen machten zehn Prozent der Studiengruppe aus, aber sie stellten 23  Prozent der Depressiven. Von den Menschen, die mindestens ein kurzes
5
-htt
-Gen trugen, waren 33  Prozent depressiv. Von den Probanden, die zwei lange
5
-htt
-Gene besaßen, waren nur 17  Prozent depressiv geworden.
    Was für eine Geschichte! Hatten die Forscher nicht schon immer vermutet, dass seelische Krankheiten eine biologische Wurzel haben? Jahrzehntelang hatten sie in den Zellen nervenkranker Menschen nach schuldigen Genen etwa für Alkoholsucht oder Schizophrenie gesucht und nichts entdeckt. Mit dem »Depressions-Gen« schien nun endlich der erste Kandidat gefunden. Auch biologisch gesehen klang alles einleuchtend, wenn der verkürzte Serotonin-Rezeptor schlechter arbeitet als die lange Version.
    Überdies hat das Ergebnis einen besonderen Charme, weil es nicht ganz so fatalistisch daherkommt. Wenn Schicksalsschläge ausbleiben, sind Menschen mit zwei kurzen
5
-htt
-Genen ja gesund. Erst im Zusammenspiel mit einer falschen Umwelt mache das Depressions-Gen einen Menschen krank. Und steht das alles nicht mit der Alltagserfahrung in Einklang, dass der eine Mitmensch immer wieder aufsteht, während der andere nach Rückschlägen verzagt?
    »Das ist eine wunderbare Story«, lobte der einflussreiche Psychiater Thomas Insel vom amerikanischen National Institute of Mental Health. »Sie veränderte die Art und Weise, wie wir über Gene und psychiatrische Erkrankungen denken.«
    Die Journalisten waren inspiriert und verarbeiteten den Stoff zu Geschichten über eine angeborene »Resilienz«: Selbst wenn sie als Kind geprügelt oder missbraucht wurden, würden manche Menschen zu normalen Erwachsenen – insofern sie denn mit der rechten, sprich robusten Genausstattung gesegnet sind. Der amerikanische Schriftsteller Richard Powers hat die Serotonin-Saga frühzeitig zu einem Roman über das vermeintliche Glücksgen verarbeitet. [37]
    Traurige Nachrichten fürs Depressions-Gen
    Für das Ehe- und Forscherpaar Terrie Moffitt und Avshalom Caspi wurde der Rummel um das Depressions-Gen zum Glücksfall. Sie bekamen jeweils eine gut dotierte Professorenstelle an der angesehenen Duke University in Amerika. Mit Wohlgefallen und Eitelkeit nahmen die beiden Psychologen zur Kenntnis, wie wirkmächtig ihr Befund unter den Kollegen war. Andere Forscher wetteiferten darum, den Einfluss des kurzen
5
-htt
-Gens ebenfalls zu erforschen, und machten sich daran, die Daten unabhängig zu replizieren – doch das war der Anfang vom Ende der ganzen Geschichte.
    Denn so sehr sich andere Forscher auch mühten, die von Moffitt und Caspi behauptete Verwundbarkeit durch kurze
5
-htt
-Gene haben sie nicht finden können. Ganz im Gegenteil, das Zusammenspiel von
5 -htt
und der Umwelt erklären Psychologen der University of Bristol in England als reinen Zufallsfund. [38]
    Den Genetiker Neil Risch von der University of California in San Francisco hat das »Depressions-Gen« ebenfalls stutzig gemacht. Er hat sich deshalb die Studie von Moffitt und Caspi vorgenommen und zusätzlich 13 spätere Studien zum
5
-htt
-Gen. Alles in allem waren es Daten von 14   250 Probanden. [39]
    Die Auswertung ergab: Menschen, die besonders viele stressige Erfahrungen machen und Schicksalsschläge einstecken müssen, hatten ein viel größeres Risiko an Depressionen zu erkranken – allerdings gibt es gar keine angeborene Verwundbarkeit dafür. Ganz gleich, wie Neil Risch und seine Kollegen die Daten aufbereiteten, ganz gleich, was den Menschen widerfahren war – ein Zusammenhang zwischen dem kurzen
5
-htt
-Gen und einer besonderen erblichen Anfälligkeit für belastende Erfahrungen gab es nicht. Das bedeutet: Niemand ist aufgrund einer Genvariante gleichsam immun gegen Stress. Und niemand fällt Stress zum Opfer, weil irgendwelche Genvarianten es so wollen.
    Entscheidend für den Ausbruch einer Depression sind die äußeren

Weitere Kostenlose Bücher