Generation A
das ginge ihn nichts an, da lächelte er und sagte: »Ah, immer noch bei den Eltern.« Serge war klein und dünn und unter seinem weißen Doktorkittel angezogen wie ein Bürokrat.
Eine Frau fragte mich, wo meine Eltern arbeiten. Ich sagte ihnen, meine Mutter sei bei einer Generatorenfirma namens Asia Brown Boveri angestellt, und mein Vater arbeite im vertikal integrierten Bereich Personalwirtschaft bei CERN.
»Geschwister?«
»Mein Bruder ist in der Marketingabteilung von Kellogg's. Meine Schwester arbeitet bei Nokia in Helsinki. Konnte eine einzige Familie treuer der Globalisierung in die Hände arbeiten? Ich kam schon ins Englisch-Immersionsprogramm, als ich noch im Kindergarten war.«
»Welcher Beschäftigung gehst du nach?«
»Studieren. Bin an der Sorbonne.«
»Ahh. Nous avons un genie ici dans notre milieu. Und du studierst was?«
»Geht euch einen Scheiß an.«
Serge sah die Frau an. »Celine, was haben wir für ein Glück, dass unser erstes europäisches Bienenstichopfer seit sechs Jahren ausgerechnet Sean Penn ist? Schau mal in unserer Gefriereinheit nach wir müssten da noch ein paar Fläschchen von dem Gegenmittel zu der oscarreifen schauspielerischen Leistung hier haben.«
»Sehr witzig.«
Serge fixierte mich mit einem Spaß-beiseite-Blick. »Pass auf, Julien, du bist zweiundzwanzig, und dein Stirnlappen ist noch nicht voll entwickelt. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache, die sich nicht wegdiskutieren lässt. Und direkter Ausdruck davon, dass sich dein Stirnlappen noch im Aufbau befindet, ist dieses Gefühl, dass du ein Recht darauf hättest, alles um dich herum verächtlich zu finden. Aber damit bist du nichts weiter als ein biologisches Klischee.
Dein Gehirn braucht noch ein paar Jahre, und bis dahin bist du bloß eine Maschine, die vorschnelle Urteile produziert, und alles, was du fühlst und tust, ist das Ergebnis lückenhafter kortikaler Verbindungen und hormongesteuerter Macken. Also komm bloß nicht auf die Idee, dich aufzuspielen, als wärst du der Größte, denn für mich ist das, was du irrigerweise für deine Persönlichkeit hältst, bloß ein lästiges Hindernis zwischen mir und dem, was ich wissen will.«
»Und das wäre?«
Hier zögerte er etwas, einer dieser Momente, auf die man später zurückblickt und denkt: Ah, genau hier hätte ich wachsamer sein müssen. Er sagte: »Wir möchten herausfinden, was dich so anziehend für Bienen macht. Diese Information könnte von immenser Bedeutung für den Rest des Planeten sein.«
»Oh.«
»Also benimm dich wie ein Erwachsener, verdammt noch mal. «
Celine sagte: »Red einfach mit uns. Hast du heute ein Rasierwasser benutzt?«
»Seh ich aus wie ein Discotrottel?«
»Ein einfaches Nein tut es auch. Wann hast du das letzte Mal geduscht?«
»Vor vier Tagen.«
»Okay. Nimmst du irgendwelche Medikamente? «
»Nein.«
»Was hast du heute gegessen?«
Da musste ich erst nachdenken. »Was meinen Sie mit ›heute‹?«
»Bitte?«
»Ich schätze, ich bin jetzt seit etwa sechsundzwanzig Stunden wach. Ich glaube nicht, dass die Bezeichnung ›heute‹ für mich relevant ist.
»Was hast du denn die letzten sechsundzwanzig Stunden getrieben?«
»In der Rue Claude Decaen World of Warcraft gespielt.«
Die Frau war verwirrt. Serge erklärte es ihr: »Das ist ein großangelegtes, quasi in Echtzeit ablaufendes Rollenspiel im Internet mit vielen Mitspielern, das in einer stabilen Parallelwelt abläuft und -«
»Ich hab's kapiert.« Die Frau fragte dann stattdessen, was ich gegessen hätte, seit ich das letzte Mal geschlafen hab.
»Einen Erdbeerjoghurt. Und eine halbe Toblerone.«
»Alkohol? Gesüßte Getränke?«
»Nein.«
Die zwei sahen sich an, dann fragte die Frau: »Wann warst du das letzte Mal an der Uni? «
»Äh. So vor drei Wochen. «
»Im Ernst?«
»Meine Eltern wissen das nicht, und ich würde es vorziehen, wenn Sie es für sich behalten könnten.«
Beide starrten mich an. Serge sagte: »In ein paar Stunden wirst du ziemlich berühmt sein. Dein altes Leben ist vorbei, Sean Penn.
Ob es dir passt oder nicht, du bist ein neuer Mensch.«
Neben dem Lenkrad piepte irgendwas. Ich guckte nach draußen und sah Leute in weißen Einsatzjacken, die mehrere Gründerzeithäuser mit weißen Nylonplanen umhüllten. Die Sean-Penn-Witze begannen sich zu häufen.
Hat Mr. Penn sich in seinem Wohnwagen eingeschlossen?
Sagen Sie, ist Mr. Penn gedrückter Stimmung?
Sean, bitte in Amtsräumen nicht rauchen!
In meinem
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