Generation A
ansehe, machen sie anders als Wörter oder Buchstaben keine Geräusche in meinem Kopf. Sie beruhigen mich sogar irgendwie. Im Matheunterricht hab ich einfach die Gleichungen angestarrt und mich bis zum Klingeln in meinen Wohlfühlort versetzt.«
»Ich habe Mathe gehasst.«
Wir nickten alle zustimmend, nur Serge schüttelte entsetzt den Kopf.
»Na gut, jetzt bin ich mit einer Geschichte dran, und sie hat kein Happyend. Oder vielleicht ist es auch ein getarntes Happyend.“
Alle machten: »Wuuuuuuuuuu ...“
»Finden wir es heraus.«
DAS ENDE DES GOLDENEN ZEITALTERS DER MÜNZTELEFONE
von Samantha Tolliver
Stella brachte ihre Kindheit damit zu, ihrer Mutter zu helfen, Männer abzuzocken, die dumm genug waren, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts noch Münztelefone zu benutzen, Männer, die zu große Angst vor neuen Technologien hatten, um sich ein Handy zuzulegen, Männer, denen ihr Handy unter den Fahrersitz gefallen war und die zu faul waren, sich zu bücken und es zu suchen. Wichser eben.
Ihre Mutter hieß Jessica und war eine in jeder Hinsicht wendige Frau, die rauchte wie ein Schlot und mit Stella durchs Land zog, auf exklusive Hotels spezialisiert. Dort trieben sie sich dann in der Nähe der Restaurants und Bars bei den Münztelefonen herum, möglichst so gekleidet, dass man es schnell wieder vergaß: kein Schmuck oder auffälliges Make-up, keine ausgefallenen Schuhe - wie Wal-Mart-Servicepersonal, nur ohne die blauen Westen und die aufgesetzte Fröhlichkeit. Die beiden warteten bis etwa zur Mitte der Mittagspause, wenn die Männer im Restaurant ein paar Drinks intus hatten - mit schöner Regelmäßigkeit kam dann einer von ihnen heraus zum Telefonieren. Sobald er gewählt hatte, schlenderte die kleine Stella mit leicht dümmlichem Gesichtsausdruck zum Telefon, drückte die Gabel herunter und unterbrach das Gespräch. Der Mann sagte dann in der Regel so was wie »Frechheit, was soll das?« oder »Verzieh dich, Mädchen«. In diesem Moment stürzte sich Jessica auf den Mann, der in der Regel noch mit dem Hörer in der Hand dastand.
»Was fällt Ihnen ein, meine Tochter anzuschreien?«
»Ich schreie nicht. Und was ist überhaupt mit Ihrem Kind? Ich bin mitten in einem Gespräch, da kommt die her und drückt die Gabel runter.«
»Sie ist eben noch ein Kind. Komm, Stella, wir gehen.“
Für gewöhnlich grummelte der Mann dann irgendetwas, wählte erneut und nahm sein Gespräch wieder auf. Jessica wartete ein paar Minuten, dann ging sie wieder zu dem Mann hinüber, drückte die Gabel runter und sagte: »Meine Tochter sagt, Sie hätten sie geschlagen.«
»Was?«
»Sie haben meine Tochter geschlagen.«
»Ticken sie noch richtig, Lady? Ich schlage niemanden, schon gar keine Kinder.“
»Ich geh zur Polizei.“
»Wie bitte?«
»Ich zeig Sie wegen Körperverletzung an. Stella, lauf und hol den Wachdienst.«
Darauf rannte Stella los, und der Typ mit dem Telefon machte sich ins Hemd. »Ich hab das Kind nicht geschlagen, Lady.“
»Wollen Sie behaupten, sie lügt?«
»Ich sage, dass ich sie nicht geschlagen habe. Was soll ich sonst sagen?«
»Und Sie behaupten, dass ich lüge.“
»Lady, ich -«
Dann kam Stella zurück und erklärte: »Die Wachleute sind gleich da.«
Selbstverständlich sah der Kerl am Telefon dann schon sein Leben in den Abfluss gluckern, malte sich die schreckliche Presse aus und wie solche falschen Anschuldigungen ihm das Leben verpfuschen würden. Diese verrückte Frau könnte ihn ruinieren. Und an dieser Stelle sagte dann Jessica, diese wendige Eidechse: »Wenn Sie wollen, können Sie das auf der Stelle aus der Welt schaffen. Entschuldigen Sie sich bei meiner Tochter und entschädigen Sie sie für das traumatische Erlebnis.«
»Sie entschädigen? Ah ... jetzt wird mir alles klar.«
»Das freut mich. Also, her mit dem Geld, sonst schreit Stella, dass Sie sie betatscht haben.«
Und schon wurde das Portemonnaie gezückt.
Stella hatte schon unzählige Male zuhören müssen, wie wildfremde Männer ihrer Mutter die schrecklichsten Dinge an den Kopf warfen.
Sie und ihre Mutter versuchten, nur zwei, maximal drei solche Nummern pro Stadt abzuziehen, je nachdem, wie es lief. Sie grasten das Land in einem Winnebago systematisch ab und fuhren gut mit ihrer Masche, auch wenn es Stella mit zunehmendem Alter schwerer fiel, sich als unschuldiges Kleinkind auszugeben, das nur mit dem Telefon spielte. Schließlich veranlasste Jessica Stella, so zu tun, als wäre sie geistig behindert.
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