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Genesis Secret

Genesis Secret

Titel: Genesis Secret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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überhaupt nicht, ich finde das keineswegs langweilig. Wirklich nicht!« Das war keine fromme Lüge: Sein Feature wurde von Tag zu Tag ausführlicher und vielschichtiger. »Sprechen Sie weiter, Franz. Bitte.«
    »Sie sehen also, dass wir es hier mit einem Rätsel zu tun haben. Es ist vollkommen unerklärlich. Wenn diese frühen Menschen mit ihren primitiven Mitteln Hunderte von Jahren gebraucht haben, um einen Tempel, ein Heiligtum für die Toten, eine Bestattungsanlage zu errichten, warum haben sie dann zweitausend Jahre später alles wieder mit Tonnen von Erde verschüttet? So viel Erde zu bewegen muss fast genauso aufwendig gewesen sein, wie Göbekli zu bauen. Ist es nicht so?«
    »Ja. Und warum haben sie es dann getan?«
    Breitner schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. »Das ist es ja gerade! Wir wissen es nicht! Niemand weiß es. Das alles hat sich erst diesen Monat herausgestellt. Deshalb sind wir noch nicht dazu gekommen, uns Gedanken darüber zu machen.« Er grinste. »Phantastisch, nicht wahr?«
    Derya bot Rob eine frische Flasche Efes-Bier an. Er nahm sie und bedankte sich. Rob unterhielt sich bestens. Er hätte nie damit gerechnet, dass Archäologie so spannend sein könnte. Oder so rätselhaft. Er dachte über das Geheimnis der verschütteten Tempelanlage nach. Dann beobachtete er Christine, die sich mit ihren Kollegen unterhielt, und spürte einen lächerlichen, winzigen Stich von Eifersucht, den er sofort zu unterdrücken versuchte.
    Er war hier, um ein Feature zu schreiben - nicht, um sich hoffnungs- und fruchtlos zu verlieben. Und das Feature entpuppte sich als wesentlich spannender, als er zu hoffen gewagt hatte. Der älteste Tempel der Welt. Entdeckt in der Nähe der ältesten Stadt der Welt. Erbaut von Menschen, die das Rad noch nicht gekannt hatten: erbaut von steinzeitlichen Höhlenmenschen mit erstaunlichen künstlerischen Fähigkeiten …
    Diese großartige neolithische Kathedrale, dieses kurdische Carnac, dieses türkische Stonehenge - Rob sah seinen Artikel schon förmlich vor sich, einzelne Abschnitte entstanden bereits in seinem Kopf -, und dann wurde dieser erstaunliche Tempel mit Tonnen von altem Staub wieder zugeschüttet, für alle Zeiten versteckt wie ein schreckliches Geheimnis. Und niemand wusste, warum.
    Er schaute auf. Er hatte sich fast zehn Minuten lang einem journalistischen Tagtraum hingegeben, war ganz in seinem Job aufgegangen. Er mochte seinen Job. Breitner hatte recht: Er war ein Glückspilz.
    Der Abend neigte sich dem Ende zu. Jemand holte eine alte Gitarre hervor, und sie sangen ein paar Lieder. Zum Abschied reichte Derya eine Runde Raki herum und dann noch eine, und Rob merkte, dass er zu viel getrunken hatte. Er beschloss, den Heimweg anzutreten, bevor er sich blamierte und auf dem Fußboden einschlief. Um etwas frische Luft zu schnappen, ging er erst einmal ans Fenster.
    Auf der Straße vor dem Haus herrschte nicht mehr annähernd so viel Betrieb. Sanliurfa war zwar eine Stadt, die lange wach blieb, weil sie den ganzen heißen Nachmittag verschlief - aber inzwischen war es fast zwei Uhr. Selbst Sanliurfa schlummerte jetzt. Das einzige Geräusch kam vom Gehsteig direkt unter Franz Breitners Fenstern. Dort standen drei Männer und sangen ein eigenartiges Lied, einen tiefen beschwörenden Gesang. Zu Robs Erstaunen hatten sie einen kleinen Tisch vor sich aufgestellt, auf dem drei flackernde Kerzen standen.
    Etwa eine halbe Minute lang beobachtete Rob die Männer und die Kerzenflammen gebannt. Dann drehte er sich um. Christine stand auf der anderen Seite des Wohnzimmers und unterhielt sich mit Derya. Rob winkte sie zu sich.
    Christine beugte sich aus dem Fenster und beobachtete die singenden Männer eine Weile, sagte aber nichts.
    »Richtig ergreifend«, bemerkte Rob leise. »Irgendein religiöser Gesang, oder?«
    Als er sich Christine zuwandte, sah er, dass sie leichenblass war. Sie schien tief bestürzt.

9
     
    Rob verabschiedete sich, und Christine schloss sich ihm an.
    Als sie das Haus verließen, hatten die drei singenden Männer die Kerzen ausgeblasen und den Tisch zusammengepackt; sie schickten sich zum Gehen an. Einer von ihnen schaute sich zu Christine um. Seine Miene war unergründlich.
    Vielleicht lag es auch nur an der schwachen Straßenbeleuchtung, dachte Rob, dass man die Gesichtszüge des Mannes nicht deuten konnte. In der Ferne bellte ein Hund nach einem eigenen einsamen Ritual. Hoch über einem Minarett stand der Mond. Rob stieg der Geruch

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