Georgette Heyer
Stunde des nächsten Morgens an das Portal der Lady Saltash; er wurde
aber von dem stattlichen Butler nicht vorgelassen, sondern in Kenntnis
gesetzt, daß bisher weder Mylady noch Miss Wantage erschienen seien. Sein Blick
befremdeten Erstaunens veranlaßte Sherry, zu erröten und sich in ziemlicher
Verwirrung zurückzuziehen. Denn er war im Begriff gewesen, seine Absicht laut
werden zu lassen, einfach in Heros Schlafzimmer hinaufzugehen, da er ganz
vergessen hatte, daß niemand in Bath etwas von ihrer Ehe ahnte; als er sich
vergegenwärtigte, welche skandalöse Deutung das im Haushalt der Lady Saltash
erfahren hätte, war er dermaßen erschüttert, daß er auf einige Zeit aus dem
Gleichgewicht geriet und davonstürzte, ohne seine Visitenkarte zu hinterlassen.
Um die Zeit
zu verbringen und seinen Gefühlen eine kleine Erleichterung zu gewähren,
besuchte er seinen Cousin im Hotel York und erfreute ihn mit seiner in
kernigen Worten gehaltenen Ansicht über dessen Moral und
Charaktereigenschaften. Ferdy, der im Bett lag und eben den letzten Bissen
seines Frühstücks verzehrte, unternahm keinen Versuch, sich zu verteidigen,
sondern ließ nur einige beschwichtigende Laute hören und erklärte hernach, daß
Gil an allem schuld sei.
«Du kannst
dich höllisch glücklich preisen, daß ich dich nicht aus dem Bett reiße und
windelweich prügle!» sagte der Viscount und sah ihn etwas verwirrt an. «In der
Tat, äußerst glücklich, das kann ich dir sagen!»
«Ich kann
dir versichern, alter Junge, das tue ich auch», sagte Ferdy in gewinnendster
Weise. «Sehr glücklich, daß du es nicht wirklich tun willst! Ich ziehe ja doch
immer den kürzeren, wenn ich mich mit dir auf eine Boxerei einlasse!»
«Hasenfuß!»
stichelte der Viscount.
«Wie du
meinst, Sherry, wie du meinst!» sagte Ferdy.
Der
Viscount gab es auf, lachte und ließ sich herbei, mit seinem Cousin eine Tasse
Kaffee zu trinken. Um halb elf erschien er wieder am Camden Place und wurde
abermals nicht vorgelassen. Die Damen, erklärte der Butler, seien nicht zu
Hause. Diesmal überreichte ihm der Viscount seine Karte, dennoch ließ sich der
Butler, obwohl er sich in höflichster Weise verbeugte, von Seiner Lordschaft
nicht erweichen.
Hierauf
hatte der Viscount den glücklichen Einfall, sich zur großen Trinkhalle zu
begeben, wo er seiner Mutter und Miss Milborne, die den Mittelpunkt einer
plaudernden Gruppe bildeten, schnurstracks in die Arme lief. Lady Sheringham
beschlagnahmte ihn sogleich, um ihn ihren neuen Bekannten vorzustellen. Eine
der Schwestern Chalfont sagte, sie habe das Gefühl, Seine Lordschaft schon
lange zu kennen, empfing für ihre Bemühungen aber lediglich einen eisigen
Blick. Dann bemerkte der Viscount, daß sich Sir Montagu Revesby ebenfalls in
der Gruppe befand; er gewährte ihm nicht mehr als die kälteste Verbeugung,
drehte ihm aber absichtlich den Rücken zu, als Sir Montagu lächelnd sagte: «Ich
bin entzückt, dich hier zu sehen, mein lieber Sherry!»
Die ältere
Miss Chalfont belegte Seine Lordschaft dann völlig mit Beschlag und fragte ihn,
ob er das Wetter nicht für mild genug halte, um eine Expedition nach Wells zu
unternehmen. Er erwiderte mit einem kurzen «Nein».
«Grausamer!»
rief Miss Chalfont und ließ ihre schönen Augen spielen. «Ich habe beschlossen,
hinzufahren, weil ich ganz vernarrt in Kathedralen bin. Sie nicht, Mylord?»
«Kathedralen?»
gab der Viscount zur Antwort. «Du lieber Gott, nein.»
«Ich weiß
nicht, wie das Projekt, nach Wells zu fahren, gelingen soll, das sich diese
Mädchen in den Kopf gesetzt haben», warf Lady Sheringham ein. «Ich weiß aber
bestimmt, wenn die liebe Isabella dazu Lust hätte, dann wäre Anthony entzückt,
sie in seinem Kabriolett hinzubringen.»
«Nichts
würde mir ein größeres Vergnügen bereiten, Madam», erwiderte der Viscount und
warf Miss Milborne einen düsteren Blick zu, «wenn ich nicht bereits anderwärts
vergeben wäre.»
«Oh, wie
unartig!» rief Miss Chalfont. «Sie wissen doch nicht, an welchem Tag wir fahren
wollen.»
«Ich bin
für die ganze Zeit meines Aufenthalts an diesem verfl – an diesem Ort
vergeben», antwortete der Viscount.
Die
Gräfinwitwe, durch diese unfreundliche Rede aufs äußerste empört, schien die
Absicht zu haben, diesen Punkt weiter zu erörtern, aber Miss Milborne legte
sich ins Mittel und erklärte, sie habe nicht vor, in dieser
Jahreszeit eine so lange Reise zu unternehmen. Durch das darauffolgende
Stimmengewirr verschaffte sich
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