Georgette Heyer
eigentlich geschah, wußte
keiner von beiden. Die Witwe, die außer sich war und eine Schulter so einladend
nahe spürte, sank instinktiv dagegen und fand sich im nächsten Augenblick in
einer viel heftigeren Umarmung eingeschlossen, als sie ihr Mr. Ryde hatte zuteil
werden lassen. Die Ungehörigkeit der Situation schien ihr durchaus nicht
aufzufallen. Ihr Herz tat einen Luftsprung; sie schmiegte sich fest an den Major; und hob
ihr Gesicht seinem Kuß entgegen.
So blieben sie lange; dann, als
dämmerte ihnen gleichzeitig die Erkenntnis, machte Fanny eine krampfhafte
Bewegung, um sich loszureißen, der Major ließ seine Arme fallen, sprang auf
und rief aus: «Fanny! O mein Gott, mein Gott, was habe ich getan?»
Sie starrten einander totenblaß an,
und das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. «Ich – ich bitte um
Verzeihung!» stammelte der Major. «Ich wollte nicht – o mein Liebling, was
sollen wir tun?»
Die Farbe kehrte in ihre Wangen
zurück; in ihren Augen strahlte ein so zärtlicher Schimmer, daß er sich
zusammennehmen mußte, um sie nicht wieder in seine Arme zu nehmen. Aber sie
sagte gepreßt: «Du hast nur versucht, mich zu trösten. Ich weiß, du wolltest
nicht ...»
«Fanny, Fanny, sag das nicht! Es
blieb uns einfach nichts anderes übrig!» unterbrach er sie und ging zum Fenster
hinüber, als könne er sich nicht selbst trauen, wenn er sie anblickte. «Was für
ein Narr ich war!»
In seiner Stimme zitterte eine so
bittere Qual, daß sie zusammen schauerte und den Kopf senkte, um die neu
aufquellenden Tränen zu verbergen. Lange war es still. Verstohlen wischte sich
Fanny die Augen und sagte schwach: «Es war meine Schuld. Sie müssen vergessen
– wie dumm ich war. Ich betrachte es als nicht geschehen. Ich weiß, es war
nicht Ihr Ernst.»
«Ich glaube, ich habe dich von dem
Augenblick an geliebt, in dem ich dich zum erstenmal sah.»
«O nein, nein! Hector, bedenke, was
du da sagst! Du liebst Serena! Du hast sie alle die Jahre geliebt!»
«Ich habe einen Traum geliebt. Einen
sehnsüchtigen, sentimentalen Traum, den sich nur ein mondsüchtiger Narr
erschaffen konnte! Die Vision, die ich gehegt habe – das war nicht Serena! So
war sie ja nie!»
«Nein, nicht wie dein Traum, sondern
weitaus besser!» sagte sie schnell.
«Ja, weitaus besser! Sie ist ein
großartiges Geschöpf! Ich bewundere sie, ich verehre sie, ich halte sie für die
wunderschönste Frau, die ich je gesehen habe – aber ich liebe sie nicht!»
Sie preßte die Hand an die Schläfe.
«Wie konnte das nur geschehen? O nein, das ist nicht möglich! Es kann nicht
sein!»
«Glaubst du denn, ich bin verrückt?»
fragte er und kam vom Fenster zurück. «Wie kann ich es dir verständlich
machen?» Er setzte sich ihr gegenüber und ließ den Kopf in die Hände fallen.
«Es war nicht Wahnsinn, aber Narrheit! Als ich sie das erstemal kennenlernte –
oh, ich verliebte mich Hals über Kopf in sie! Ebenso lächerlich, wie der elende
Junge, den ich gerade bei dir traf, glaube ich! Als ich von ihr getrennt wurde,
zu meinem Regiment ging, in Spanien war, monatelang keine anderen Frauen als
die Schlachtenbummlerinnen und spanischen Bäuerinnen sah, konnte natürlich
nichts das Bild Serenas aus meinem Gedächtnis verdrängen. Es genügte mir nicht,
mich nur an sie zu erinnern; in purer Überspanntheit trug ich Schicht um
Schicht immer blendenderer Farben auf diesem Bild auf. Ihr Gesicht konnte ich
nicht verändern; aber ihr Wesen veränderte ich! Vielleicht ganz unbewußt.» Er
blickte auf, und ein schmerzliches Lächeln verzog seinen Mund. «Hast du je
Laudanum gegen einen schmerzenden Zahn eingenommen, Fanny? So viel, daß du
glaubtest, deine Träume seien wahr? Das war die Rolle, die Serenas Bild für
mich spielte. Dann – traf ich sie wieder.» Er hielt inne, vergrub den Kopf
wieder in die Hände und stöhnte. «Ihr Gesicht war lieblicher, als ich es in
Erinnerung hatte. Ihre lächelnden Augenlider, die Musik ihrer Stimme, ihre Hexerei,
die Anmut jeder ihrer Bewegungen – alles, alles, wie ich es in Erinnerung
hatte! Ich war wieder verliebt, aber immer noch in jenem verrückten Traum
befangen. Die Frau, die hinter dem stand, was meine Augen blendete, war eine
Fremde. Ich hatte mein Bild mit meinen eigenen Gedanken, meinen eigenen
Neigungen ausgestattet: denn Serena und ich haben kaum einen Gedanken
gemeinsam, und unsere Neigungen ...» Er brach ab, und sein Lachen klang
freudlos. «Nun, du mußt ja wissen, wie weit sie
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