Georgette Heyer
England, oder ob sie möglicherweise für ungültig erklärt
werden konnte. War der Knoten aber einmal geschürzt, sagte er sich, würden
möglicherweise weder Rotherham noch Mrs. Monksleigh durch ihre Einmischung
gerne einen Skandal heraufbeschwören wollen; und damit schob Gerard jeden
weiteren Gedanken daran von sich. Statt dessen überschlug er seine Mittel,
schätzte vage die Entfernung ab, die zurückzulegen war, addierte die
Postgebühren und entschloß sich nach allen diesen Berechnungen, seine Uhr zu
verkaufen. Bitteren Gemütes stellte er fest, daß Entführungen nach Gretna Green
ein Luxus waren, den sich nur gut fundierte Leute leisten konnten: denn es
waren nicht allein über dreihundert Meilen bis zur Grenze zurückzulegen – man
mußte denselben Weg auch wieder zurückfahren. Diese Überlegung brachte ihm eine
zweite Schwierigkeit zu Bewußtsein: wie sollte er, wenn seine Tasche leer war,
einen Monat lang eine Gattin versorgen, bis er die Apanage für das nächste
Vierteljahr erhielt? Die einzige Lösung, die er sah, bestand darin, Emily zu seiner Mutter zu
bringen; freilich war er sich nur zu gut bewußt, daß seine Mutter, sosehr sie
ihren Sprößling liebte, einer ihm heimlich angetrauten Ehefrau keinen sehr
warmen Willkommen entbieten würde. Und falls Rotherham – aus lauter Rachsucht –
darauf bestand, daß Gerard noch ein Jahr in Cambridge verbrachte, würde Emily
diese Zeit unter dem Dach seiner Mutter verbringen müssen, und es war durchaus
möglich, daß ihr ein solches Arrangement nicht behagte. Er fragte sich, ob er
sie möglicherweise in Cambridge unterbringen konnte, und kam zu dem Schluß, daß
es sich einrichten ließe, falls er sich der strengsten Sparsamkeit befleißigte.
Diese Probleme nagten zwar an ihm,
aber sie galten der Zukunft, um die er sich gewohntermaßen nicht allzusehr
kümmerte. Viel gegenwärtiger war die Angst, daß Rotherham, sobald er in Bath
ankommen und entdecken würde, daß Emily verschwunden war, ihr Ziel erraten und
ihr folgen würde. Gerard hatte ihr empfohlen, niemandem von ihrem Fluchtplan
zu erzählen, und er konnte sich nicht denken, daß er in Mrs. Floore auch nur
den geringsten Verdacht erregt haben konnte, in die Sache verwickelt zu sein;
aber wenn sie Rotherham gegenüber seinen Namen erwähnte, würde dieser sofort
wissen, daß die Flucht eine Entführung war. Und was würde Rotherham dann tun?
Vielleicht würde es ihm sein Stolz verbieten, hinter einer widerwilligen Braut
einherzujagen. Gerard konnte sich seinen verächtlichen Blick vorstellen, den
spöttisch verzogenen Mund, das gleichgültige Zucken der mächtigen Schultern.
Sogar noch klarer konnte er sich leider seinen wutsprühenden Blick vorstellen;
und als er endlich einschlief, jagte der Lärm von Hufen, die sich unbarmherzig
näherten, durch seine Träume, und gespenstisch verwirrte Szenen, in denen er in
die Mündung von Duellpistolen starrte. Er erwachte schweißgebadet und hatte nur
wenig Zeit, den Eindruck der Träume abzuschütteln und einzusehen, daß, was
immer auch Rotherham unternehmen mochte, er keinesfalls sein Mündel zu einem
Duell fordern würde. Aber Rotherham war ein Boxer, und ob ihn seine Vormundschaft
davon abhalten würde, an seinem Mündel eine faustkämpferische Rache zu nehmen,
war eine Frage, die Gerard nicht zu beantworten wußte. Vor die Wahl zwischen
diesen beiden Schicksalen gestellt, würde er, dachte Gerard, entschieden das
Erschießen vorziehen.
Daß Rotherham auf ihn wütend sein
würde, daran zweifelte er nicht; daß Rotherham – und zweifellos einige andere
daran interessierte Personen – alles Recht dazu hatte, auf ihn böse zu sein,
kam ihm allerdings kaum bei. Natürlich wurden Entführungen im allgemeinen verurteilt,
in seinem Fall jedoch konnte nur ein gefühlloser Mensch die Reinheit seines
Motivs verkennen. Das Ganze war weniger eine Entführung als eine Rettung. Ja,
er hatte es nur als letzten Ausweg ge plant, wenn es ihm mißlingen sollte,
Emily zur Entschlossenheit zu bewegen.
Er stand sehr zeitig auf, denn er
hatte viel zu tun. Der Verkauf seiner Uhr war eine Enttäuschung; leider war er
gezwungen, sich auch von seiner zweitbesten Uhrtasche zu trennen, ebenso von
einer sehr hübschen Krawattennadel; und selbst nachdem er dieses Opfer gebracht
hatte, kam für seine Börse das Mieten einer vierspännigen Kutsche bis zur
Grenze nicht in Betracht. Mit den hohen Postgebühren pro Meile und Pferd würde
ihn allein schon die Miete einer
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