Gepeinigt
erneut befragt worden, und der Titel der Sendung wurde entsprechend angepasst: Fourteen Up, Twenty-One Up, usw. Forty-Nine Up war die letzte Sendung gewesen, die sie gesehen hatte. Das Konzept der Sendung faszinierte sie. Erstaunlich, wie manche Kinder ihre Zukunft exakt vorhergesagt hatten und andere wiederum nicht. Wie der soziale Hintergrund berufliche und private Träume hatte versanden lassen. Am interessantesten jedoch war, was der Einzelne in den vergangenen sieben Jahren erreicht oder nicht erreicht hatte.
Unweigerlich hatte sie die Idee der Serie auf ihr Leben übertragen. Manchmal, wenn sie unter der Dusche stand oder auf den Bus wartete, interviewte sie sich selbst und schwärmte von ihren bescheidenen Erfolgen, in der Hoffnung damit, wenn schon nicht ihre Familie, dann zumindest ehemalige Schulkameraden beeindrucken zu können. Aber nicht einmal sie selbst hätte vorhersehen können, dass sie im Alter von achtundzwanzig Jahren als Detective Constable in einer australischen Kleinstadt auf einem Polizeirevier die Rock-Ikone Spencer Gray verhören würde, mit dem sie zufälligerweise ein Jahr zuvor geschlafen hatte!
Sicherlich hätte sie dem Reporter von Twenty-Eight Up die peinlichen Einzelheiten verschwiegen.
Es war so beschämend, wenn sie an diese Nacht zurückdachte. Sie hatte sich von ihm aufreiÃen lassen, ohne dass er sie auch nur auf einen Drink eingeladen hatte. Bei ihr zu Hause hatte sie sich anfangs geweigert, mit ihm zu schlafen, aber innerhalb weniger Minuten nachgegeben. Danach wollte sie unbedingt wissen, wie es ihm mit ihr gefallen hatte. Bis zum letzten Moment hatte sie sich wie ein unreifer Teenie an ihn geklammert und ihn an der Haustür abgeknutscht, während sie ihm verstohlen einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand drückte ⦠Die Sachen, die sie an dem Abend angehabt hatte, wusch sie erst dann, als der Kneipengeruch völlig verschwunden warâ¦
Erinnerungen, die ihr innere Qualen bereiteten.
Und das war noch nicht einmal das Schlimmste gewesen.
Als er sich nach einer Woche noch immer nicht bei ihr gemeldet hatte, beschloss sie, die Dinge in die Hand zu nehmen. Bestimmt hatte er den kleinen Zettel mit ihrer Nummer verloren. Aber wie fand man die Adresse eines Rockstars heraus? Ãber den Polizeicomputer? Unmöglich. Das würde elektronische Spuren hinterlassen, die sich zu ihr zurückverfolgen lieÃen. Sie beschloss, sich ein Karten-Handy zu kaufen und es auf die herkömmliche Weise zu probieren.
Er hatte ihr an dem Abend, bevor sie zu ihr gingen, ein wenig über sich erzählt. Jetzt im Rückblick war ihr natürlich klar, dass er das nur getan hatte, um ein falsches Gefühl der Sicherheit bei ihr zu erzeugen. Was ihm auch gelungen war. Sie wunderte sich selbst jetzt noch über ihre damalige Naivität. Aber sie war schlichtweg fasziniert von ihm gewesen.
Die Information, dass er in der Landeshauptstadt geboren worden war, hatte ihr die Suche erleichtert. Dutzende von
Telefonanrufen später stieà sie auf eine nette alte Dame, die ahnungslos zugab, dass ihr Sohn zwar auf Besuch, im Moment aber nicht zu Hause sei.
Ihr Herz hatte so wild gehämmert, dass sie befürchtete, es würde ihr aus der Brust springen. Sie war fast am Ziel. Natürlich würde er sie zurückrufen. Sie gab der Dame ihren Namen und ihre Nummer. Und sie hatte sich genau zurechtgelegt, was sie sagen würde, wenn er anrief, hatte den Text geprobt und auswendig gelernt. Wie ein Mantra. EinschlieÃlich des Tonfalls, der nicht zu aufgeregt, aber auch nicht zu gleichgültig sein durfte.
Hi, Spencer. Hier ist Claudia, von neulich Abend in Queensland. Entschuldige, dass ich dich einfach so anrufe, das ist wirklich nicht meine Art. Aber ich wollte dich um einen kleinen Gefallen bitten. Ich habe an dem Abend einen runden goldenen Ohrring verloren. Vielleicht in deinem Auto? Ist nicht weiter wichtig, aber er war ein Geschenk von meinen Eltern. Du musst natürlich nicht extra suchen. Aber könntest du mich anrufen, falls er dir in die Hände fällt? Das wäre echt nett. Warte, ich gebe dir nur rasch meine Adresse und meine Nummer.
Perfekt, fand sie. Freundlich, aber nicht aufdringlich. Vertraut, aber nicht zu persönlich. Und alle nötigen Details.
Aber er hatte nicht zurückgerufen. Vielleicht war seine nette alte Mutter ja auch ein wenig vergesslich? Sie hatte noch einen Anruf riskiert, nur zur
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