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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Hintergrund dessen, was wir ansonsten denken, vielmehr dasselbe bedeuten wie »wahr«, und zwar, daß uns hier etwas auf einzigartige Weise gelungen ist. Die wichtigen Unterschiede zwischen wissenschaftlichen und interpretativen Urteilen spiegeln Unterschiede in den Inhalten der beiden Arten von Urteil wider und nicht die Tatsache, daß nur die einen wahrheitsfähig sind.
    Wissenschaft und Interpretation
    Um welche Unterschiede geht es hier? Eine der am Anfang dieses Kapitels aufgeworfenen Fragen lautete, wie Interpretation sich von Wissenschaft unterscheidet. Von Philosophen, Historikern und Sozialwissenschaftlern ist vorgeschlagen worden, zwischen zwei Arten des Erkenntnisgewinns zu differenzieren, die in der Philosophie manchmal als Erklären und Verstehen bezeichnet werden.
47 Theoretiker, die der Meinung sind, daß es sich hierbei um einen fundamentalen Unterschied handelt, behaupten, daß es in den Naturwissenschaften um Erklärungen geht, die keinen Zweck voraussetzen, während die Geschichtswissenschaften und die Soziologie ebenso wie andere Geisteswissenschaften über teleologische Interpretationen zu einem Verständnis kommen wollen. In diesem Kapitel habe ich eine etwas andere Auffassung derselben Gegenüberstellung vorgeschlagen, indem ich Verstehen als Interpretation gefaßt habe. Diese muß von der Wissenschaft unterschieden werden, weil sie teleologisch ist, und zwar nicht nur hinsichtlich des verwendeten Vokabulars, sondern auch im Hinblick darauf, an welchen Standards ihr Erfolg gemessen wird.
    Setzen wir bei der Unterscheidung zwischen den intrinsischen und den rechtfertigenden Zielen einer Untersuchung an. Wenn wir etwas erforschen – seien es nun schwarze Löcher, die Ursachen des Ersten Weltkriegs, die demographische Zu
261 sammensetzung der Bevölkerung der Kaimaninseln oder die Ambiguitäten in Yeats' Gedichten –, ist es unser intrinsisches Ziel, die Wahrheit herauszufinden. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir nicht von einer Untersuchung sprechen. Hinzu kommen aber bestimmte rechtfertigende Ziele in Form der Absichten und Zwecke, die unseres Erachtens rechtfertigen, im konkreten Fall nach der Wahrheit zu forschen. Zum Beispiel halten wir medizinische Forschung für gerechtfertigt, weil dadurch Krankheiten verhindert und geheilt werden. Im Bereich der Wissenschaft geht es uns oft um rechtfertigende Ziele, die in dieser Weise praktisch sind. So ist etwa Agrarforschung gerechtfertigt, weil wir hoffen, daß sie dazu beiträgt, auf die Dauer mehr Menschen ernähren zu können, und Forschung auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik lohnt sich, weil wir uns von ihr die gewünschte Unterhaltung und mehr Wohlstand versprechen.
    In der Wissenschaft gibt es jedoch auch rechtfertigende Ziele, die nicht gleichermaßen direkt eine praktische Anwendung betreffen. Mit der Kosmologie befassen wir uns auch, weil die dort aufgeworfenen Fragen uns faszinieren und wir die Geschichte unseres Universums einfach dramatisch und spannend finden. Obwohl wir es hier also nicht mit praktischen Erwägungen zu tun haben, handelt es sich dabei um ein rechtfertigendes Ziel, weil uns die erhofften Ergebnisse von grundlegender Bedeutung zu sein scheinen, und das geht über das bloße Streben nach Wahrheit hinaus. Niemand bemüht sich darum herauszufinden, wie viele Steine es in Afrika gibt, die ein Kilo oder mehr wiegen. Wenn wir uns dazu entscheiden würden, wäre es unser intrinsisches Ziel, eine wahre Antwort auf diese Frage zu erhalten, aber das wird nicht geschehen, weil eine solche Untersuchung keinem praktisch oder theoretisch rechtfertigenden Ziel dienen würde.
    Es ist nicht zu übersehen, daß rechtfertigende Ziele in der Wissenschaft eine große Rolle spielen. Sie sind nicht nur dafür verantwortlich, mit welchen Fragen sich Wissenschaftler befas
262 sen und welche Studien von Regierungen oder Stiftungen finanziert werden, sondern bestimmen auch, wann wir bereit sind, uns mit einer Wahrheitsbehauptung zufriedenzugeben, obwohl wir, wie im Fall vieler wichtiger wissenschaftlicher Behauptungen, keine Gewißheit erlangt haben. Obwohl rechtfertigende Ziele also sehr folgenreich sind, dürfen wir sie nicht mit dem intrinsischen Ziel der Wissenschaft verwechseln, und vor allem dürfen wir nicht annehmen, daß ihnen bei der Frage, wie erfolgreich wir bei unserer Suche nach der Wahrheit waren, eine Rolle zukommt.
48 Selbst wenn ein Wissenschaftler sich mit Kosmologie beschäftigt, weil er von den riesigen Dimensionen

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