Gerettet von deiner Liebe
sollte ich Schuld daran haben?“, vollendete sie den Satz. „Das ist eine lange Geschichte, Mr. Trevenen.“
„Wären zwei Wochen ausreichend, sie mir zu erzählen?“, fragte er.
Sie hatte ihre Meinung so lange für sich behalten, dass ihr das Schweigen zur zweiten Natur geworden war. Einen winzigen Moment lang geriet sie in Versuchung, diesem Fremden ihre ganze Last zu Füßen zu legen, doch dann fasste sie sich wieder.
„Ein alter Familienstreit“, antwortete sie knapp. „In mancher Hinsicht hat sie ja auch recht.“
Zu ihrer Erleichterung hakte er nicht nach, sondern murmelte nur: „Ja, die Familie.“
Als die Kutsche in die Auffahrt zum Haus ihres Vaters einbog, wachte Noah auf und streckte sich. „Besuchen wir Spring Grove morgen wieder?“, fragte er schlaftrunken.
„Das hängt von Mr. Trevenens Plänen ab, mein Sohn“,erklärte sie. „Wir haben nämlich den Auftrag, ihn während seines Aufenthalts in London zu begleiten.“
Mit ernster Miene wandte der Junge sich nun an James. „Lady Dorothea und Miss Sophia sagten mir, dass die Makronen zu hohen Bergen anwachsen, wenn ich sie nicht esse.“
„Aber Noah! Damit wollen sie dich nur necken“, erklärte seine Mutter lachend.
Noah schüttelte entschieden den Kopf. „Das würden sie niemals tun, Mama.“
Liebevoll fuhr sie ihm durchs Haar. „Dummerchen! Damit haben sie mir auch gedroht, als ich noch ein Kind war.“
Noahs Augen weiteten sich. „Aber Mama, stell dir nur vor, wie hoch die Berge gewachsen sein könnten, seit du klein warst!“
James lachte laut, während sich die Kutsche dem Halbrund vor dem Portal näherte. „Ich hoffe, Ihre Eltern fühlen sich durch meine Anwesenheit nicht zu sehr gestört“, sagte er. „Ich hätte in einem Hotel absteigen können, aber nach meiner Inseleinsamkeit fühle ich mich in Gesellschaft wohler.“
„In meiner Familie lebt jeder in seiner eigenen Welt, und alle sind mit ihren eigenen kleinen Nöten beschäftigt. Es würde ihnen nicht einmal auffallen, wenn Sie grüne Haare hätten“, erklärte Susannah scherzend.
Er wirkte überrascht. „Ist das in allen Familien so?“
„Jedenfalls in meiner“, entgegnete sie trocken. „Gibt es in Ihrer Familie denn keinen Exzentriker?“
„Nicht, dass ich wüsste“, antwortete er achselzuckend. „Ich kam schon in sehr jungen Jahren zur Marine. Vermutlich habe ich eine allzu romantische Vorstellung vom Familienleben.“
Dumme Gans, schalt sie sich, ich habe wenigstens eine Familie, auch wenn ich mir manchmal vorkomme wie in einem Irrenhaus. „Tut mir leid.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.„Keine Ursache. Was man nicht kennt, vermisst man schließlich nicht, oder?“
Noah blickte ängstlich zum Portal. „Müssen wir durch die Vordertür ins Haus, Mama?“
„Nein, nein“,beruhigte sie ihn.„Mr. Trevenen, gewöhnlich benutzen wir einen Seiteneingang, um den Tukanen nicht zu begegnen. Es wäre empfehlenswert, wenn Sie dies auch tun, solange Sie bei uns wohnen.“
„Nicht nötig“, entgegnete er munter, als Noah vorausrannte. „Sir Joseph bat mich, die Vögel freizulassen, und das werde ich tun, Mrs. Park. Auf meiner einsamen Insel habe ich gelernt, nichts vor mir her zu schieben. Geben Sie mir einen Tag Zeit, und die Tukane sind nur noch Geschichte.“
„Wie wollen Sie …“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Je weniger Sie wissen, desto weniger müssen Sie sich rechtfertigen.“
„Nun ja, wie Sie meinen“, entgegnete sie mit einem verwirrten Lächeln.
„Gut. Kein Einwand. Sie machen mir das Leben leicht. Ich vertraue darauf, dass Sie mir demnächst ein wenig über Loisa erzählen.“
Ihr Lächeln schwand. „Sie ist schon seit Jahren nicht gut auf mich zu sprechen und gibt mir alle Schuld an ihrem Unglück. Ich fürchte, dagegen können auch Sie nichts tun.“
„Vertrauen Sie mir“, entgegnete er gelassen. „Ich habe gelernt, Probleme zu lösen. Von den Tukanen können Sie sich schon mal verabschieden.“
„Der Umgang mit meiner Schwester erfordert das Geschick eines Diplomaten“, sagte sie.
Noah stand bereits wartend am Seiteneingang. Zu ihrer Überraschung forderte James ihn auf, ins Haus zu gehen.
„Wir kommen gleich nach, mein Junge“, rief er ihm zu. Er zögerte einen Augenblick zu lang, bevor er das Wort wieder an sie richtete, und plötzlich wusste sie, was er sagen wollte. Sir Joe, dachte sie in hellem Entsetzen, warum hast du das getan?
„Mein Patenonkel wünscht, dass Sie mich heiraten“,
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