German Angst
sagte Karin, »das sagt er mir immer vorher… Ich weiß nicht, wo er ist, ich hab ihn…« Sie hielt inne, zog die Stirn in Falten und wischte sich die Hand an ihrem weißen Kittel ab.
»Wieso waren Sie in seiner Wohnung, wenn er gar nicht da war?«
»Es ging um eine polizeiliche Durchsuchung«, sagte Gerke.
»So«, sagte Karin und sah wieder Hilfe suchend zu Frey.
»Wir wollen dich jetzt nicht weiter belästigen«, sagte der Gubener Hauptmeister.
Mit einer Handbewegung schob Gerke ihn beiseite und ging auf die Frauen zu, die hinter den Regalen lauschten.
»Guten Tag, mein Name ist Sven Gerke, Kriminalpolizei München. Wir ermitteln im Fall der verschwundenen Natalia Horn, Sie kennen die Geschichte aus dem Fernsehen. Hat jemand von Ihnen Mike Sadlow gesehen? Wir suchen ihn dringend, er ist möglicherweise ein wichtiger Zeuge. Wenn Sie eine Ahnung haben, wo er sein könnte, sagen Sie es mir! Wir wissen nicht, wie lange die Entführer Frau Horn noch am Leben lassen, wir sind für jeden Hinweis dankbar.«
Zunächst war es still. Acht Augenpaare fixierten den groß gewachsenen Mann mit dem ungewöhnlichen Schnurrbart und sogar Schön und Frey blickten wie fasziniert in seine Richtung. Braga kratzte sich am Ohr.
»Das ist ganz schlimm«, sagte eine der Frauen. Dann war es wieder still und dann sagte dieselbe Frau: »Der Mike hat damit bestimmt nichts zu tun, der interessiert sich nur für seine Autos und für sonst nichts. Na ja, und für die Karin…« Einige kicherten. »Der war schon als Junge ein Autonarr, die Werkstatt ist sein Ein und Alles.«
»Ja«, sagte eine andere Frau.
»Hat Herr Sadlow Freunde im Westen?«, fragte Gerke.
»Der ganze Westen ist unser Freund«, sagte eine Frau und alle lachten. Mehrere Sekunden lang fühlte sich Gerke als Deutscher Meister im Versagen. Er hatte die Situation unterschätzt, er hatte vergessen, dass dieses Land noch immer geteilt und voll von unsichtbaren Wänden war, in die man nicht einfach ein Loch bohren konnte, um ungeniert durchzuklettern. Er war leichtsinnig gewesen, und das war der schlimmste Fehler, den ein Polizist begehen konnte.
Braga sprang in die Bresche. Langes Abwägen hatte keinen Zweck mehr. »Wir glauben, Mike Sadlow ist an der Entführung von Natalia Horn beteiligt. Er war in ihrer Wohnung, dafür haben wir Beweise. Wir müssen also mit ihm sprechen. Vielleicht gibts ja einen anderen Grund für seinen Aufenthalt in München, dann ist er entlastet.«
»Diese Aktion D, ja?«, sagte die Frau, die vorhin die Bemerkung über den Westen gemacht hatte. »Das sind doch Nazis, oder? So hab ich das verstanden. Nazis, ja? Und ich sag Ihnen was, bei uns hier gibts keine Nazis, die gibts hier nicht, und es wär gut, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen würden, Herr Kommissar. Und der Mike ist garantiert kein Nazi, den können Sie vergessen! Es ist wieder typisch, dass Sie ausgerechnet zu uns kommen, typisch ist das.«
»Ja«, sagte eine der Frauen.
»Wir fahren zu Ihrem Revier«, sagte Gerke zu Schön.
»Das Fax für die offizielle Durchsuchung muss inzwischen da sein.« Er gab Braga ein Zeichen und sie verließen den Drogeriemarkt. Sofort bestürmten die Frauen die beiden Uniformierten mit Fragen.
»Wir wissen noch nicht mal, was er für ein Auto fährt«, sagte Gerke.
»Das werden wir aus den Kollegen schon rausprügeln«, sagte Braga. Er grinste mechanisch.
Über die Brücke in der Nähe fuhren hintereinander mehrere Wohnmobile.
»Man kann die Leute verstehen«, sagte Braga, »die habens satt, ewig der Buhmann zu sein.«
»Ja, blöd«, sagte Gerke, »und jetzt sind sies schon wieder.«
Funkel hatte Thon gefragt und der hatte mit einem entschiedenen Nein geantwortet.
Nein, keiner von beiden hatte einen Kollegen in Verdacht. Es war unmöglich, dass jemand Mike Sadlow gewarnt hatte.
Aber alles, was Gerke und Braga bisher recherchiert hatten, deutete darauf hin.
Jener magische Augenblick X-plus schien plötzlich eine neue, unheilvolle Bedeutung zu bekommen.
Sie hatte Pit vorgeschickt, ihren Tonmann. Nach zehn Minuten kam er zurück und brachte die Informationen, die sie erwartet hatte.
»Der Wirt hat keine Ahnung von einem Schrank fürs Theater, der war total irritiert. Ich hab ihm gesagt, die Bühnenbildnerin schickt mich und er so: ›Bühnenbildnerin, hä?‹ Er hat sich blöd gestellt, aber er ist zu blöd dazu, um sich richtig blöd zu stellen, echt. Das ist alles Fake. Arano war hier, ganz sicher, so wie der Wirt mich angelogen
Weitere Kostenlose Bücher