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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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hat bestimmt eine Menge Applaus dafür gekriegt auf seiner Wolke.
    Was ihm zu meinem Bauch eingefallen ist, das nennen sie in Amerika einen running gag . Erst ganz dünn, dann richtig schön dick, und in der letzten Einstellung hängt die überschüssige Haut vor dem Leib wie ein leerer Sack.
    Ha ha ha.
    Wer immer mich geschrieben hat, wer immer das beschissene Drehbuch verfasst hat, in dem mir meine Rolle zugeteilt wurde: Musstet ihr Olga mit reinziehen? Zumindest sie hätte ein glückliches Ende verdient.
     
    Der wahnsinnig lustige running gag mit meinem immer dicker werdenden Bauch fand seine Fortsetzung, als ich mich 1917 ein zweites Mal stellen musste. Nicht mehr für die kämpfende Truppe, sondern für den Sanitätsdienst. Ich hatte in Uniform zu erscheinen, und der Aushebungsoffizier sah über seine Brille weg auf meinen Hosenbund, der sich auch mit Gewalt nicht mehr schließen ließ, und sagte: «Es scheint Ihnen ja nicht schlecht gegangen zu sein, als Zivilist.»
    Großes Gelächter im Kino.
    Die medizinische Untersuchung ersparten sie mir. Sie wussten aus meinen Papieren, was mir fehlte. Ganz wörtlich: fehlte. Und ich war kein gewöhnlicher Stellungspflichtiger, sondern ein fast fertiger Arzt.
    Theoretisch.
    Ich hatte gerade mein erstes medizinisches Staatsexamen abgelegt. Die Prüfung war ein ähnliches Affentheater gewesen wie damals das Abitur. Ohne Staatsexamen durften sie einen im Sanitätsdienst nicht auf die Verwundeten loslassen, brauchten aber ganz dringend Leute. Was für eine Überraschung: Wir haben alle, alle bestanden. Um durchzufallen, hätte man den Blinddarm schon hinter der Kniescheibe suchen müssen.
    Ich trug also wieder das Ehrenkleid der Nation. Dulce et decorum. Eine neue Uniform, die meinem Bauch genügend Platz ließ. Arztanwärter im Unteroffiziersrang. Eine Bezeichnung, die sie extrafür Leute wie mich hatten erfinden müssen. Man wollte den Verwundeten nicht auf die Nase binden, dass der Mann, der da mit dem Stethoskop herumfuchtelte, in seinen vier Semestern nicht ein einziges Mal an einem Krankenbett gesessen hatte. Die zusammengeschossenen armen Schweine, die man jeden Tag bei uns ablieferte, nannten mich «Herr Doktor». Ich wehrte mich nicht dagegen. Wenn es ihnen Hoffnung gab, sollte es mir recht sein. Hoffnung war das einzige, was ich ihnen geben konnte.
    Man schickte mich in die Etappe. Ins deutsche Reichsland Elsass-Lothringen. Ein Jahr später war es dann französisch, und jetzt ist es wieder deutsch. Wird auch nicht lang vorhalten. Der Idiot, der dieses Drehbuch schreibt, kann sich nicht entscheiden.
    Als ich meinen Eltern mitteilte, dass ich zum Reservelazarett nach Kolmar abkommandiert war, sagte Papa ganz automatisch: «Isenheimer Altar.» Er hatte sein Konversationslexikon so gründlich studiert, dass es ihm jedes wirkliche Gespräch ersparte. Für Mama war nur wichtig, dass ich nicht mehr an die Front kam. «In einem Krankenhaus kann es nicht so schlimm werden», meinte sie. Es war kein Krankenhaus, Mama. Es war ein Lazarett. Und viel schlimmer kann ich es mir nicht vorstellen.
    Dabei sollten wir eigentlich nur die harmloseren Fälle abkriegen. Die man auf dem Verbandsplatz als zwar schwer verwundet, aber transportfähig eingestuft hatte. Wer als transportfähig galt und wer nicht, hatte weniger mit dem Grad der Verletzung zu tun, als mit dem täglichen Verwundetenanfall auf dem Verbandsplatz. Verwundetenanfall. Man nannte das wirklich so. Wenn es keine freien Pritschen mehr gab, galt plötzlich fast jeder als transportfähig.
    Sie kamen mit der Sanka bei uns an. Sanitäts-Kraftwagen-Abteilung. Klingt bedeutend professioneller, als es in Wirklichkeit war. Von den gut ausgestatteten Sanitätsfahrzeugen, mit denen sie mal angefangen hatten, war nach drei Kriegsjahren nicht mehr viel übrig geblieben. Sie mussten sich mit irgendwelchen requirierten Transportern behelfen. Ich erinnere mich an einen Mann mit einer schweren Gesichtsverletzung, den sie im Lieferwagen einer Großmetzgerei zu uns brachten. Auch so eine billige Pointe.
    Bei uns wurde dann noch einmal aussortiert. Wer eine Überlebenschance hatte, wurde operiert. Was meistens Amputation bedeutete. Die andern kriegten an Morphium ab, was wir erübrigen konnten, und wurden in den Kreißsaal verschoben. Zum Sterben auf die Geburtsstation. Unser Lazarett war früher das Spital von einem wohltätigen Orden gewesen; ein paar der Schwestern in ihrer grauen Tracht waren immer noch da. Die hoffnungslosen Fälle

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