Gerron - Lewinsky, C: Gerron
aufgeschichtet. Ich habe es ihr nachgemacht. Wenn auch, verfressen, wie ich bin, ohne Begeisterung.
Zu unserer Tradition gehörte kein Kaviar. Wenn wir damals, als wir uns kennenlernten, zum Essen in ein feines Lokal gegangen wären, dann hätten wir uns nicht die ganze Nacht unterhalten, überGott und die Welt. Wären nicht am Morgen – auf Zehenspitzen natürlich, das war Ehrensache – aus dem Haus geschlichen und hätten am Hafen gefrühstückt, in einer Kneipe, wo es nach Fisch roch und nach Pfeifentabak.
Wo sie mich zum ersten Mal gefragt hat: «Was machen Sie eigentlich beruflich, Herr Gerron?»
Wenn die Geschichte mit Kaviar angefangen hätte, wäre sie gleich wieder zu Ende gewesen. Als höflicher Mensch hätte ich Olga nach Hause begleitet oder ihr wenigstens die Taxe bezahlt. Das wär’s dann gewesen. Irgendwann hätte sie das entwickelte Röntgenbild an Dr. Drese geschickt – was ich da ertastet hatte und immer noch ertasten kann, war etwas völlig Harmloses, nur ein Granulom, ein winziger eingekapselter Metallsplitter –, sie hätte nicht mehr an mich gedacht und ich nicht an sie. Wir hätten nie gemerkt, dass wir zusammengehören.
Wie furchtbar wäre das gewesen.
Wir führen keine Kaviar-Ehe. Wir haben eine Spiegelei- und Butterbrot-Ehe. In der verrückten Welt, in der ich damals zu leben begann, und die immer noch verrückter wurde, konnte mir kein größeres Glück begegnen.
Ohne Olga …
Ich will es mir nicht vorstellen.
Der teure Kaviar blieb auf dem Tellerrand liegen. Als der Zimmerkellner das Geschirr abräumen kam und sich wunderte, dass wir das Beste übriggelassen hatten, erklärte ihm Olga, zwei Sorten Eier passten geschmacklich nicht zusammen. Mit der ernsthaftesten Miene der Welt. Man muss sie sehr gut kennen, um zu merken, wann sie einen verkohlt.
An einem andern 16.April saßen wir in Paris in einem Bistro. Weder Olga noch ich wussten, wie man Spiegeleier auf französisch sagt. «Miroir, miroir», habe ich Idiot ständig wiederholt. Der Ober hat uns mit dieser höflichen Verachtung angesehen, mit der einen französische Kellner anlächeln, wenn man nicht jeden Käse auf dem Servierwagen mit Vornamen zu benennen weiß. «Œufs sur le plat» heißt das. Eier auf der Platte.
In Holland heißt Spiegelei Spiegelei. Das ist ein gastfreundliches Volk und macht es einem nicht schwer. Nur die Aussprache ist ein bisschen seltsam.
In Amsterdam, an der Frans van Mierisstraat, war es dann wieder wie in jener ersten Nacht in Hamburg: ein möbliertes Zimmer und ein Spirituskocher. Das Fenster musste offen bleiben, sonst hätte der Geruch meine Eltern angelockt, die im Nebenzimmer schliefen.
Das teuerste Spiegelei haben wir uns in Westerbork geteilt. Olga hat mit ihrem Ehering dafür bezahlt.
In Theresienstadt kann man von Eiern nur träumen. Um sich dort welche zu wünschen, muss man verrückt sein. Wie der alte Jongleur, der jedem erzählt: «Ich kann ein Kunststück mit acht Eiern, da würdet ihr aber staunen.» Immerhin, ein Stück Papier habe ich aufgetrieben, ein ganzes leeres Blatt, nur auf der Rückseite stand was drauf. Der Jo Spier hat mir einen Teller mit Spiegeleiern gezeichnet, so lebensecht, dass man die Butter brutzeln hörte. Die Zeichnung wollte ich Olga hinlegen, aber sie …
Gerade mal drei Monate ist das her.
Ich hatte diese Zeichnung für sie. Besser als gar nichts. Auch wenn Symbole nicht satt machen. Auf unserem Margarinekisten-Esstisch habe ich Messer und Gabel neben die gemalten Spiegeleier gelegt. Einen abgerissenen Hemdenzipfel als Serviette. Das Fenster habe ich geschlossen, obwohl es ein warmer Frühlingstag war. Der Gestank der Latrine sollte die Romantik nicht stören. Wenn ich inszeniere, dann richtig.
Olga hätte schon längst da sein müssen, aber seit ein paar Tagen macht ihre Putztruppe auch bei den Dänen sauber. Dort bleibt man gern länger, denn die Dänen bekommen regelmäßig Pakete. Man erzählt sich Wunderdinge, was da alles drin sein soll. «Wenn man besonders sauber fegt», hat Olga gesagt, «kriegt man vielleicht etwas davon ab.»
Ich wartete ohne Ungeduld. Gemalte Spiegeleier werden nichtkalt. Da kam Dr. Springer ins Zimmer gestürzt, ganz wörtlich gestürzt. Stolperte in seiner Hast über die Schwelle und fiel beinahe hin. Und sagte: «Kommen Sie schnell, Gerron! Ihre Frau will sich umbringen.»
Ich bin sitzen geblieben. Kurzschluss im Hirn. Habe noch ganz sorgfältig das Messer und die Gabel in den Stofffetzen gewickelt und
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