Gesandter des Teufels
auch seist. Es gibt einen Ort, der der Schlund genannt wird ...
Neville überflog die nächsten Zeilen, denn hier schrieb de Wörde von Dingen, über die er bereits Bescheid wusste. Dann las er wieder etwas langsamer weiter.
Jedes Jahr zur Sommersonnenwende musst du dorthin gehen und das Buch öffnen, das du in dieser Schatulle findest. Darin ist die Beschwörungsformel der Anrufung enthalten, und diese musst du sprechen.
Die Anrufung wird diejenigen der Dämonen, die bereits stark genug sind, zum Schlund rufen. Sie werden nur langsam und widerwillig herbeikommen - und warum sollten sie sich auch beeilen, denn schließlich gehen sie ihrer Vernichtung entgegen -, und es wird etwa sechs Monate dauern, bis sie sich an diesem Ort versammelt haben.
Deshalb wirst du zur Wintersonnenwende, am Namenlosen Tag, dem Tag, an dem die irdische Welt und die der Hölle einander berühren, zum Schlund zurückkehren und die Beschwörungsformel der Öffnung sprechen. Daraufhin wird der Schlund zum Leben erwachen und den Zugang zur Hölle enthüllen.
Dann rufe die missgestalteten Kobolde an und sprich die Beschwörungsformel des Bannes, und sie werden durch die Tore der Hölle in den flammenden Abgrund geworfen, der ihre Bestimmung ist...
Auf diese Weise kannst du die Christenheit von dem Bösen befreien, den grässlichen Früchten der Versuchung der Engel.
Der Brief ging noch weiter, doch Neville konnte nicht mehr weiterlesen.
Er hatte so heftig zu zittern begonnen, dass er die Blätter aus der Hand legen musste.
Lange Zeit saß er nur da und starrte ins Leere.
Die Geister der Engel lagen Frauen im Schlaf bei und schwängerten sie.
Verfluchte dunkle Verführerinnen allesamt...
Aber waren diese Frauen wirklich »Verführerinnen« ?
Neville musste an Bolingbrokes Mutter Blanche denken. Er war ihr nie leibhaftig begegnet, doch er kannte ihren Ruf -Lancaster und Katherine hatten oft von ihr gesprochen. Blanche war schön gewesen, doch sie hatte auch ein frommes und bescheidenes Wesen besessen und ihr Verhalten war stets makellos gewesen.
Blanche hatte nicht »an ihren Brüsten die schlimmsten Ängste der Menschheit genährt«.
Wie stand es um die anderen Frauen?
Neville wurde plötzlich schwindelig, als ihm wieder einfiel, was der heilige Michael einmal zu ihm gesagt hatte: Frauen sind nur aus einem einzigen Grund auf dieser Welt: um Kinder zu bekommen.
Man kann sie benutzen und sich ihrer entledigen, ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden.
Nicht die Engel waren die Opfer ... die Frauen waren es.
Diese Frauen wurden im Schlaf geschwängert.
Sie wurden geschändet.
Das Wort »Schändung« hatte Wynkyn de Wörde nicht verwendet, und es war dem alten Mönch offenbar nicht einmal in den Sinn gekommen.
Die Frauen führten die Engel in Versuchung, deshalb waren sie die Schuldigen und nicht die Engel. Hatte Wynkyn de Wörde nicht ganz unter dem Einfluss der Lehren der Kirche gestanden ... wie auch Neville einmal?
»Großer Gott«, flüsterte Neville und beugte sich über den Tisch, die Hand vor den Mund geschlagen, während in seinem Kopf Gedanken und Bilder durcheinanderwirbelten.
Er wusste genau, dass er noch vor einem Jahr de Wördes Ansichten geteilt hätte.
Vor einem Jahr hatte er noch nicht gewusst, was Liebe ist.
Kein Wunder, dass Hai und Margaret alles darangesetzt hatten, damit er sich in seine Gemahlin verliebte.
Er nahm Wynkyn de Wördes Litanei des Hasses, faltete die Seiten sorgfältig zusammen und schob sie von sich.
Dann legte er die Arme auf den Tisch und fragte sich, ob seine Hände wohl jemals wieder aufhören würden zu zittern.
Engel kamen auf die Erde nieder, lagen Frauen bei - im Geiste, wenn auch nicht leibhaftig - und zeugten mit ihnen die Geschöpfe, die Dämonen genannt wurden.
Sie waren die Diener Satans, auch wenn sie nicht von ihm geschaffen worden waren. Die Diener Satans, die in die Hölle verbannt werden mussten.
Warum waren sie dann zugleich auch die Diener des Heilands?
Warum hatte Jesus Thomas dazu aufgefordert, Margaret zu liehen?
Thomas zweifelte nicht daran, dass ihm in jenem Gasthof auf dem Weg von Kenilworth nach London tatsächlich der Heiland erschienen war ...
und dass er ihn dazu aufgefordert hatte, Margaret zu lieben.
»Liebe ist nicht Verdammnis«, flüsterte er, »sondern Erlösung.«
Warum hatte sich der Heiland für die Dämonen eingesetzt?
Warum hatte er...?
»Nein! Nein!« Thomas sprang auf und betrachtete voller Entsetzen Wynkyn de Wördes
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