Gesandter des Teufels
Sorgen.«
Richard schmiegte seine tränenüberströmte Wange in de Veres Hand, und Tresilian musste sich abwenden, denn Richards zunehmende Abhängigkeit von seinem Berater erfüllte ihn mit Übelkeit. Er verstand inzwischen, warum er Nevilles Befragung vorzeitig abgebrochen hatte.
Selbst da musste er tief in seinem Inneren schon gewusst haben, dass England einen Mann von Bolingbrokes Format einmal bitter nötig haben würde.
Er überlegte gerade, wie er sich der abstoßenden Szene, die sich ihm bot, entziehen konnte - de Vere hatte sich vorgebeugt und Richard auf den Mund geküsst -, als sich die Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Gemachs öffnete und Heinrich Percy, Graf von Northumberland, eintrat.
Tresilian glaubte einen Moment lang, einen Ausdruck von Abscheu in Northumberlands Augen aufblitzen zu sehen, doch er war sofort wieder verschwunden.
Northumberland verneigte sich flüchtig vor Richard und warf de Vere einen Blick zu, der nicht zu deuten war, ehe er das Wort ergriff: »Hoheit, großer Unfrieden herrscht im Land.«
Tresilian, der Northumberland kannte und ihn achtete wie kaum einen anderen Mann, war sofort klar, dass »großer Unfrieden« höchste Gefahr bedeutete. Er musste an die bewaffnete Streitmacht denken, die Richard in Westminster stationiert hatte, und er runzelte besorgt die Stirn, als ihm bewusst wurde, wie klein sie war.
Richard hingegen war vollkommen unbekümmert. »Ihr behauptet ständig, dass irgendwo im Land Aufruhr herrscht. Ich möchte hoffen, dass es dieses Mal tatsächlich etwas Ernstes ist, denn Ihr habt mich bei einer wichtigen Angelegenheit gestört.«
»Es gibt keinen Grund, Unheil herbeizureden, Hoheit«, sagte Tresilian, um Northumberland wissen zu lassen, dass er in diesem von Verderbtheit erfüllten Gemach einen Verbündeten hatte.
»Ich glaube nicht...«, begann Richard, doch Northumberland unterbrach ihn.
»Eine Horde aus mindestens einhunderttausend Bauern marschiert auf London zu, während wir hier untätig herumsitzen«, sagte er. »Sie werden die Stadt bei Einbruch der Dunkelheit umzingelt haben.«
Richard riss die Augen auf, und sein Gesicht wurde leichenblass. Er wollte etwas sagen, doch er brachte nichts heraus, stattdessen stand ihm nur vor Schreck der Mund offen.
»Wie bitte?«, sagte de Vere. »Unseren Berichten zufolge besteht der Aufstand nur aus ein paar hundert Bauern, die sich leicht beherrschen lassen! Was meint Ihr mit einhunderttausend?«
»Wollt Ihr, dass ich sie Euch namentlich aufzähle?«, fragte Northumberland. »Es sind mindestens einhunderttausend. Sie kommen aus Essex, East Anglia und Kent und einem Dutzend anderer Regionen.
Sie wollen Beschwerde gegen die Missstände im Land vorbringen, und sie rufen Euren Namen, Majestät.«
Richard wimmerte angsterfüllt.
»Gütiger Himmel«, sagte Tresilian. »Wir haben in Westminster oder London so gut wie keine bewaffneten Männer, und die Milizen der Stadt reichen nicht aus, um ...«
»Das stimmt«, unterbrach ihn Northumberland. »Wir können sie nicht aufhalten.«
»Aber das müsst Ihr!«, schrie Richard. Er packte de Vere hilfesuchend am Arm. »Ihr müsst mich beschützen! Ich bin Euer Herr und König!«
De Vere achtete nicht auf Richard, sondern schaute Tresilian und Northumberland an. Alle Feindseligkeit war aus seinem Blick gewichen.
»Der Tower«, sagte er.
»Ja«, erwiderte Northumberland. »Es ist der einzige weitgehend sichere Ort. Majestät, Ihr müsst sofort mit uns kommen!«
Als Northumberland Richards Gemach in Westminster betreten hatte, hatte sich die Nachricht über das Näherrücken der Aufständischen bereits in ganz London verbreitet. Und während er den Umzug des Königs in den Tower vorbereitete, wimmelte es auf den Marktplätzen und in den Straßen der Stadt nur so von Gerüchten.
Bei den Londonern löste die Nachricht eher zwiespältige Gefühle aus.
Einerseits empfand der Großteil der Männer und Frauen in der Stadt Mitleid mit der Not der Bauern. Die meisten von ihnen hatten Verwandte auf dem Land oder waren selbst von dort nach London gezogen. Im Großen und Ganzen verabscheuten die Londoner die Kopfsteuer ebenso sehr wie die Bauern, und ihre Abneigung gegen die Kirche war sogar noch größer. Die Aussicht, mithilfe des Aufstands mehr Freiheit zu erringen, stieß bei nicht wenigen Stadtbewohnern auf Begeisterung - das war ihre Gelegenheit, gemeinsam mit ihren Vettern vom Land für größere Unabhängigkeit zu kämpfen!
Andererseits gefiel den
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