Gesandter des Teufels
die Stadt hineinfuhren, doch sie konnten sie nicht aufhalten.
In Wahrheit ernährten sich die Bewohner Orleans wahrscheinlich sogar besser als die Engländer.
Das Stück endete mit einem Wirbel, und Hotspur richtete sich auf und schickte die Musiker fort.
»Ich danke euch«, sagte er in makellosem Französisch.
»Und richtet auch dem Comte de Dunois« - der Comte war gemeinhin als der Bastard von Orleans bekannt, doch Hotspur hielt es für höflicher, seinen wahren Namen zu benutzen - »meinen Dank für seine Großzügigkeit aus.«
Der Dirigent der Truppe verbeugte sich und antwortete mit ein paar blumigen Worten, und dann packten die Musiker ihre Instrumente zusammen und verließen das Gemach.
»Nun«, sagte Hotspur, nachdem sie gegangen waren, »ist es schon Zeit für unser tägliches Bombardement?«
Hotspurs unmittelbare Untergebenen, Lord John Talbot und Lord Thomas Scales, zuckten mit den Schultern.
»Warum nicht?«, erwiderte Scales ohne große Begeisterung. »Schließlich gibt es sonst nichts weiter zu tun.«
»Vielleicht gibt uns der Soldat im Turm neben dem Westtor wieder seine übliche Vorstellung«, sagte Talbot.
Hotspur warf Talbot einen finsteren Blick zu. Die Franzosen waren mit einem Sinn für Humor gesegnet, der Hotspur und seinen Befehlshabern inzwischen ziemlich zuwider war.
Und sie verabscheuten niemanden mehr als den unbekannten französischen Komödianten im Turm am Westtor. Beinahe jeden Tag zog dieser Witzbold seine kleine Schau ab, wenn die Engländer ihr nachmittägliches Bombardement begannen. Sobald ein Geschoss bis auf fünfzig Fuß vor seinem Turm gelandet war, stolperte er schreiend an die Brustwehr, wobei er sich irgendeinen Teil seines Leibs hielt, und brach dann dramatisch auf dem steinernen Wehrgang zusammen.
Kurz darauf kamen zwei seiner Kameraden mit einer Trage aus dem Turm geeilt, luden unter lautem Wehklagen den immer noch schreienden Soldaten auf und brachten ihn in Sicherheit.
Einen weiteren Augenblick später tauchte der »verwundete« Witzbold dann wieder im Turm auf, sprang auf und ab und wedelte mit den Armen, als sei er von Dämonen besessen, und rief dabei, die Gebete der heiligen Jungfrau Jeanne hätten ihn gerettet und er sei wieder geheilt.
Trotz all der Pfeile und Kanonenkugeln, die die Engländer in seine Richtung abgeschossen hatten, war es ihnen bisher immer noch nicht gelungen, ihn zu töten.
Hotspur stimmte seinem Kommandanten zu, dass es an diesem Nachmittag wohl nichts weiter zu tun gab, als ein weiteres lustloses Bombardement zu inszenieren, und ging zur Tür. In diesem Moment kam jedoch ein Soldat schnellen Schritts herein.
»Mein Fürst«, sagte der Soldat und hielt Hotspur eine kleine Ledermappe hin. »Ein Brief.«
»Von Richard, hoffe ich«, sagte Hotspur, während er die Mappe entgegennahm und den Brief herausholte.
»Und hoffentlich mit dem Befehl, dass wir nach Hause zurückkehren sollen«, sagte Talbot. »Ich habe keine Lust, die nächsten Jahre meines Lebens hier herumzusitzen und wahllos Schüsse auf diese verfluchte französische Stadt abzufeuern.«
Hotspurs Gesicht war vollkommen ausdruckslos, während er den Brief überflog.
»Er ist nicht von Richard«, sagte er. »Hört:
Ihr, Heinrich Percy, der Ihr Euch Hotspur nennt, fügt Euch dem
König des Himmels und ergebt Euch mir, der Jungfrau von
Frankreich, die von Gott gesandt wurde. Beendet Eure gottlose
Belagerung. Nehmt Eure Bogenschützen und Soldaten und kehrt in
Gottes Namen in Euer Heimatland zurück. Wenn Ihr Euch weigert,
rechnet damit, alsbald von der Jungfrau zu hören, die Euch zu
Eurem großen Schaden selbst aufsuchen wird.
Wenn Ihr Gottes Worten und denen der Jungfrau keinen Glauben
schenkt, werden wir Euch angreifen, wo immer Ihr Euch auch
befinden möget; und wir werden einen solchen Schlachtruf erheben,
wie man ihn in Frankreich in tausend Jahren nicht gehört hat.
Wisset, dass der König des Himmels der Jungfrau wohlgesonnen
ist und Ihr sie und ihre braven Soldaten im Kampf nicht besiegen
könnt. Wenn es zur Schlacht kommen sollte, werden wir sehen,
wer das Recht vor Gott im Himmel hat.
Hotspur, die Jungfrau bittet Euch, nicht Eure eigene Vernichtung
heraufzubeschwören. Wenn Ihr Gerechtigkeit walten lasst, mögt
Ihr Zeuge werden, wie die Franzosen das Herrlichste zustande
bringen, was jemals ein Christ getan hat. Gebt Antwort, wenn Ihr
mit der Stadt Orleans Frieden schließen wollt.
Wenn nicht, wisset, dass Ihr Euch alsbald in großer
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