Gesandter des Teufels
auseinanderfiel.
Niemand sagte etwas, aller Blicke waren auf Jeanne gerichtet.
Sie wickelte das Schwert vorsichtig aus und brauchte dafür so lange, dass Philipp sich schon mit einem Aufschrei auf sie stürzen und ihr das Schwert entreißen wollte, damit es schneller ging.
Doch er tat es nicht. Wie alle anderen konnte sich Philipp nicht von der Stelle rühren, selbst wenn er es gewollt hätte.
Schließlich hatte Jeanne das letzte Stück des verrotteten Tuchs entfernt, und das Schwert selbst kam zum Vorschein, das nicht in einer Scheide steckte.
Es lag in Jeannes Händen, sein Griff war mit Moder und Pilzen bedeckt und seine Klinge von einer dicken Schicht Rost überzogen.
Jeanne blickte die anderen mit leuchtenden Augen an und hob die Hände, damit alle das Schwert sehen konnten. »Schaut nur«, flüsterte sie.
»Das ist das Wunder, von dem du gesprochen hast?«, fragte Isabella.
»Wenn dieses verrostete Ding alles ist, was Gott hervorzubringen im Stande ist...«
»Offenbare dich«, flüsterte Jeanne, und vor Staunen hielten alle die Luft an.
Rost und Moder fielen urplötzlich von dem Schwert ab. Und von einem Augenblick auf den nächsten verwandelte es sich von einem nutzlosen, verrosteten Etwas in eine funkelnde, silbrige Waffe. Fünf Kreuze zogen sich über seine Klinge, und die Namen »Michael« und »Gabriel« waren in Gold am oberen Ende eingraviert, wo die Klinge in den mit Golddraht umflochtenen Griff überging.
»Mit diesem Schwert«, flüsterte Jeanne und schaute die anderen an, deren Blicke wie gebannt auf sie gerichtet waren, »werde ich Frankreich zum Sieg führen!«
Mehrere der Fürsten sanken auf die Knie, die Hände vor der Brust gefaltet.
In diesem Moment trat Katherine vor, und die Bewunderung in ihrem Gesicht wich Verachtung.
»Schwerter können zerbrechen«, sagte sie, drehte sich um und verließ die Kapelle, während sich Jeannes Blick in ihren Rücken bohrte.
KAPITEL 2
Am Fest der heiligen Edburga Im zweiten Jahr der Regentschaft
Richard II. (Freitag, 15. Juni 1380) Hotspur saß auf einem Stuhl, ein Bein lässig über die Armlehne geschwungen, das Kinn in die Hand gestützt und ein Ausdruck tiefster Langeweile im Gesicht. Obwohl draußen die Sommersonne schien, war es in dem steinernen Turm, in dem Hotspur seinen Befehlsstand eingerichtet hatte, kalt und unbehaglich ... wie offenbar überall in diesem verfluchten Land.
Hotspur verabscheute inzwischen alles, was mit Frankreich zu tun hatte, und Orleans ganz besonders.
Eine Gruppe französischer Musiker spielte für ihn und die fünf oder sechs anderen englischen Adligen, die in dem Gemach anwesend waren.
Die Musiker waren wirklich ganz ausgezeichnet, und zu jeder anderen Gelegenheit hätte Hotspur ihr Spiel sehr genossen.
Sie waren am Morgen eingetroffen, eine Leihgabe des Oberbefehlshabers der Garnison der Stadt, und Hotspur war sich sicher, dass sie weniger ein Geschenk als eine Beleidigung waren: Wir haben gute Musiker und
genug zu essen, und Ihr werdet uns so bald nicht aushungern
können.
Die Musiker stimmten ein fröhliches Jubellied an, und Hotspur seufzte.
Er wäre viel lieber zu Hause, als hier mitten in Frankreich festzusitzen, wo er nicht viel mehr tun konnte, als Tag für Tag mithilfe von fünf Kanonen eine nutzlose Salve Steinkugeln auf die Mauern von Orleans abzuschießen.
Die meisten der Kugeln erreichten die Mauern nicht einmal, und dann mussten sich die Engländer den Pfeilen und Armbrustbolzen ihrer Gegner aussetzen, bei dem Versuch, sie wieder zu den englischen Befestigungsanlagen zurückzurollen, damit sie nochmals verwendet werden konnten.
Wie Hotspur von Anfang an gewusst hatte, lief die Belagerung nicht gut.
Richard sollte verflucht sein, dass er ihm nicht schickte, was er
brauchte!
Orleans' Mauern waren noch immer unversehrt. Seine vier Landtore waren fest verriegelt und ebenso das Tor, das zu der gekappten Brücke am Fluss führte. Hotspur war es gelungen, zehn Befestigungsanlagen im Norden, Westen und Süden der Stadt einzunehmen - einschließlich der großen Festung Les Tourelles mit ihren vier Türmen an der Brücke -, doch die Ostseite der Stadt war völlig frei von Engländern. Hotspur besaß einfach nicht genügend Männer und Waffen, um die Stadt komplett abzuriegeln.
So gelang es dem braven Volk von Orleans, seine Vorräte an Nahrungsmitteln und Munition durch das östliche Stadttor immer wieder aufzufüllen. Die Engländer konnten zwar die Konvois plündern, die durch das Tor in
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