Gesang des Drachen
waren verschwunden. Er und Spyridon standen aufrecht in violettem Nebel. Oder schwebten sie? Es gab keinen Boden, keine Büsche oder Bäume. Einzig das Violett, das sie einschloss wie eine gigantische Faust aus Farbe.
»Was ist passiert?« Hektisch drehte Naburo sich nach allen Seiten. Der Steingroll war nicht mehr da.
»Oh dieser verfluchte Steingroll!« Spyridon sah furchterregend aus. Weitere dunkle Linien spalteten sein Gesicht wie Blitze. »Das war eine Falle! Der Steingroll hatte ein magisches Feld um sich, um uns hierher zu holen.«
Naburo begriff noch immer nicht. »Wo ist hier? «
»Keine Ahnung!« Wütend hieb Spyridon in die Luft. »In ein Reich im Reich im Reich ... Was weiß ich! Es ist ein magisches Gefängnis!«
Naburo ließ die Waffe sinken. »Das ist unmöglich. Kein Wesen allein, das kein Gott oder eine Muse ist, kann das vollbringen.«
»Vielleicht hat der alte Grolli Freunde«, mutmaßte Spyridon. »Aber fest steht, dass wir in einem magischen Gefängnis sitzen und ich nicht weiter in Richtung Cuan Bé gelangen kann!« Seine Aura glühte grellorange auf. Das Gesicht verzerrte sich zu einer dämonischen Fratze.
Naburo fühlte, dass von dem Ewigen Todfeind Hitze abstrahlte wie von einem Hochofen. »Ruhig bleiben.« Er atmete tief ein. »Lass uns nachdenken. Wir werden zumindest nicht bedroht oder angegriffen, das ist ein Vorteil. Und dieses Leuchten ... es kommt mir bekannt vor.«
»Woher? Habt ihr auch Steingrolle in Bóya?« Spyridon beruhigte sich ein wenig. Das orangefarbene Strahlen wurde zum Glimmen. Die Temperatur sank merklich.
»Nein. Das ist es eben, was mich wundert. Diese Farbe ...« Er kam nicht darauf. »Was weißt du über magische Gefängnisse wie dieses?«
Spyridon schnaufte. »Sie verlangen enorm viel Magie. Normalerweise braucht es mindestens hundert Begabte, um so etwas zu erschaffen. Vermutlich sind wir in einen Gegenstand gebannt, den der Groll bei sich hat. Eine kleine Statue, ein Stück Rindenholz oder dergleichen. Wir könnten ausbrechen, wenn wir genau wüssten, worin wir gefangen sind. Dann könnten wir den Zauber brechen, weil wir die Form kennen und in das Bild unserer Gedanken Magie wirken könnten. Aber solange wir es nicht wissen, verlieren wir Energie. Sogar ich. Etwas zerrt an meinen Kräften.«
Naburo fühlte es auch. Ein unsichtbarer Feind stahl ihm die Lebensenergie. Das war der eigentliche Zweck dieses Zaubers: Dem Opfer wurde die Kraft geraubt, immer wieder abgezapft wie einer Kuh die Milch. »Wird der Fluch dich retten?«
»Ja. Aber das kann noch dauern. Bis er mich befreit, will ich nicht warten.«
»Noch einmal: Wie kann ein einfacher Steingroll, der magisch nicht viel weiter entwickelt ist als eine sprechende Fußmatte, das bewerkstelligen?«
Spyridon schwieg einen Augenblick, dann sah er mit Augen auf, in denen endlich wieder die Funken glommen, die sie so lebhaft und wach machten. »Gar nicht!«, sagte er. »Naburo, dieser Zauber muss einen anderen Ursprung haben! Wir sind schon viel früher auf ihn hereingefallen.«
»Während wir in das Dorf einfuhren, spürte ich eine unsichtbare Barriere.«
»Ich auch! Diese Menschen ...« Er zögerte. »Was, wenn es keine Menschen sind? Wenn auch der Steingroll kein Steingroll ist, sondern der Zauber an sich?«
»Du meinst, wir wurden durch seine Form getäuscht?«
»Wir haben ihn angegriffen, deshalb konnte die Magie wirken. Erst als unsere Schwerter in ihm steckten, schnappte die Falle zu. Dieser Zauber ist wesentlich komplexer, als es scheint.«
»Aber wenn das so ist ...« Naburo richtete sich kerzengerade auf. »Ich weiß, in welchem Gefäß wir gefangen sind und wem wir diesen Zauber verdanken!«
Spyridon hob sein Schwert. »Dann sprich den Namen des Gefäßes laut aus, und ich werde es zerstören und denjenigen töten, der uns auf so schändliche Weise die Lebensenergie stehlen wollte!«
»Wir sind in einer Sanduhr.«
Es war die Farbe, die Naburo wiedererkannt hatte. Violette Flüssigkeit, die in der Sanduhr Firkanz' von unten nach oben lief.
»Firkanz«, flüsterte Spyridon. »Natürlich. Ein Grulim.« Er breitete die Arme aus wie ein Mann im Liebestaumel, der die Welt umarmen wollte, doch was er tat, war das Gegenteil davon.
Ein lauter Knall donnerte durch das Wabern, dann erklang das Splittern von Glas.
Das Violett um sie her zerfloss. Grauweißer Nebel ersetzte es. Sie standen wieder auf der Lichtung, Seite an Seite, doch vor ihnen befand sich kein Steingroll, sondern ein
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