Gesang des Drachen
weggeschickt, jedem anderen drückten die Kopftuchträger eine Waffe in die Hand.
Eine Massenmusterung, dachte er. Dann sah er Bricius an. »Hättest du dir keinen unauffälligeren Ort für unser Treffen aussuchen können?«
Der Elf lächelte. Eine Brise strich über den Platz und ließ das Laub auf seinem Kopf knistern. »Was gefällt dir daran nicht?«, fragte er über das Stimmengewirr hinweg. Kopftuchträger riefen Befehle, während Händler sie anschrien und Gemusterte ungeschickt mit ihren Waffen herumfuchtelten. Es kam Cedric fast wie ein Wunder vor, dass noch niemand aufgespießt worden war.
»Das Chaos ist unser Freund«, fuhr Bricius fort. »Wir müssen niemandem erklären, was wir hier tun. Wenn ganz Cuan Bé hier ist, warum nicht wir? Und wir können uns in aller Öffentlichkeit unterhalten, ohne dass unsere Bewacher auch nur ein Wort verstehen.«
Er deutete mit dem Kopf in Richtung der vier Kopftuchträger, die einige Meter entfernt standen. Man hatte sie als seine Wachen eingeteilt, aber sie ließen sich von den Vorgängen auf dem Marktplatz ebenso leicht ablenken wie alle anderen. Seine eigenen Wachen sah Cedric nicht einmal.
»Du hast recht«, sagte er. »Aber was fangen wir mit diesem kurzen Moment der Freiheit an? Wieso willst du mit mir sprechen?«
Bricius nahm den Blick nicht vom Platz. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert nichtssagend, als spräche er über das Wetter. Doch seine Worte hätten die Gläubigen als Hochverrat bezeichnet. »Rimmzahn muss weg.«
Cedric hob die Schultern. »Das sage ich schon seit Wochen, aber es wollte ja keiner auf mich hören.«
»Ich rede nicht davon, ihn umzubringen«, sagte Bricius. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das überhaupt noch möglich wäre.«
Ein kleiner Junge weinte laut. Seine Mutter, eine ziegenköpfige Elfe, die einen Kriegshammer auf dem Rücken trug, versuchte, ihn zu trösten. Genervt wirkende Kopftuchträger drehten sich zu ihr um.
»Was soll das heißen?«, fragte Cedric.
»Hast du den Schattenelfen an seiner Seite beobachtet? Die Fäden, die beide verbinden, sind wie eine Nabelschnur.«
»Das habe ich auch schon vermutet. Rimmzahn gibt seinem Schatten Kraft.«
Das Weinen des Kleinkinds wurde lauter, die Hektik der Mutter größer.
Bricius nickte. »Aber was wäre, wenn diese Kraft in beide Richtungen fließen könnte?«
Das war ein unangenehmer Gedanke. Rimmzahn sprach zwar nie über seinen Begleiter, aber die meisten, Cedric eingeschlossen, vermuteten, dass er eine Manifestation des Schattenlords war. Und dessen Macht hatten sie alle erlebt.
»Dann könnten wir vor einem ferngesteuerten Zombie-Rimmzahn stehen«, sagte Cedric.
Bricius hob die Augenbrauen. »Ich weiß nicht, was das heißen soll.«
»Dass wir ihn nicht umbringen sollten.« Cedric wollte noch eine Erklärung hinzufügen, doch der wütende Ruf eines Kopftuchträgers lenkte ihn ab.
»Verdammt noch mal!«, schrie der ältere Mann. »Bring endlich das Kind zum Schweigen!«
Die Elfe zuckte zusammen, das Kind, das den gleichen Ziegenkopf wie sie hatte, weinte nur noch lauter. Seine Mutter wollte ihm die Hand über den Mund legen, aber der Junge schlug sie zur Seite und stampfte mit dem Fuß auf.
Der Mann bahnte sich zusammen mit zwei anderen Kopftuchträgern einen Weg durch die Menge. »Was macht der Junge überhaupt hier?«, fragte er. »Wieso nimmt er nicht am Unterricht teil?«
Die Elfe stellte sich schützend vor ihr Kind. »Jorgas ist noch zu klein. Er braucht seine Mutter.«
»Seine Mutter?« Der ältere Mann – Cedric glaubte sich zu erinnern, dass er Horst hieß – drehte sich um, als wollte er, dass alle seine Worte hörten. »Der Einzige, den dein Junge braucht, ist der Schattenlord. Willst du ihn etwa von seinem Gott fernhalten?«
Jorgas weinte nicht mehr. Er schien zu ahnen, dass gerade über sein Schicksal entschieden wurde. Ängstlich griff er nach der Hand seiner Mutter.
Die Elfe wich der Frage aus. »Er ist ja schon ruhig«, sagte sie, während sie ihn in den Arm nahm und langsam zurückwich. »Ich bringe ihn nach Hause. Es tut mir leid, dass er dich gestört hat.«
Horst ging weiter auf sie zu. Sein Lächeln verriet, wie sehr er die Situation genoss. »Er hat mich nicht gestört. Sein Weinen war ein Hilferuf. Er will dorthin, wo all die anderen Kinder sind.«
Er streckte die Hand aus. »Komm, Junge. Ich werde dich zu ihnen bringen.«
Jorgas klammerte sich an seine Mutter. Aus gelben Augen sah er zu ihr auf. »Ich will nach
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