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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Réage
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Frau gegenüber weder von Geschäften noch vom Beruf oder Geld zu sprechen. Aus Respekt, aus Verachtung? Das weiß man nicht. Doch konnte man ihm das unmöglich vorwerfen. Auch wollte O das gar nicht. Nur wäre sie gern sicher gewesen, daß Stephens Schweigen ihr gegenüber keinen anderen Grund hatte. Und gleichzeitig hätte sie gewünscht, daß er es breche, damit sie ihm versichern könne, sie sei, falls er irgendeine Sorge habe, welcher Art auch immer, bereit, ihm zu dienen, wenn es nur einigermaßen in ihren Kräften stünde.
Am Tag nach Natalies Abreise, für die ein Liegewagenplatz im Blauen Zug bestellt worden war, und zwei Tage vor Os und Sir Stephens Abreise, die mit demselben Zug fahren sollten - doch hatte Sir Stephen darauf bestanden, daß es genau an diesem Tag und nicht an jenem sei, an dem Natalie reiste, ebenso wie er darauf bestanden hatte, mit dem Zug zu fahren, und zwar mit diesem Zug, und nicht mit dem Wagen -, sagte O ihm schließlich, als sie mit dem Mittagessen, das sie allein eingenommen hatten, fertig waren und die alte Norah den Kaffee brachte, da sagte O - dazu ermutigt, weil er ihr, als sie aufgestanden war und dicht an ihm vorbeiging, die Lenden getätschelt hatte, mechanisch vielleicht, wie man es bei einer Katze oder einem Hund tut - da sagte O schließlich mit ganz leiser Stimme, sie fürchte, ihn zu verdrießen, möchte ihm aber versichern, daß sie ihm dienen wolle, was immer er auch wünsche. Zuerst sah er sie zärtlich an, ließ sie sich niederknien, küßte ihr die Brüste, doch als sie sich erhob und vor ihm stand, veränderte sich sein Ausdruck. »Das weiß ich«, sagte er. »Die beiden Männer von neulich... « - »Die Deutschen?« unterbrach ihn O. »Es sind keine Deutschen«, sagte Sir Stephen, »aber das ist unwichtig. Ich wollte dich nur davon unterrichten, daß einer von ihnen mit demselben Zug reist wie wir. Wir essen zusammen im Speisewagen. Richte es so ein, daß er dich begehrt und dich in deinem Schlafwagenabteil aufsucht.« - »Aber«, sagte O, »er weiß doch genau, daß Sie über mich verfügen.« - »Genau«, erwiderte Sir Stephen. »Wir haben ein Doppelabteil: um in deines zu kommen, muß er durch meins durchgehen.« - »Gut«, sagte O und fragte nicht nach dem Grund, denn sie war überzeugt, daß es in diesem Fall einen Grund gab, und sie war verzweifelt, weil sie den Gedanken nicht verscheuchen konnte, daß, wenn Sir Stephen sie in den anderen Fällen ohne Grund und sozusagen gratis prostituiert hatte, dann eigentlich weniger, um sie daran zu gewöhnen, als vielmehr deshalb, weil er die Spuren verwischen und aus ihr ein Werkzeug machen wollte. Aber ein blindes Werkzeug, für etwas anderes als seine Lust.
Der blaue Zug kam gegen neun Uhr in Paris an. Um acht Uhr war O, der eine Art Teilnahmslosigkeit, die sie überhaupt nicht verstand, gleichsam einen Panzer um das Herz gelegt hatte, sicher auf ihren hohen Absätzen die Gänge von ihrem Schlafwagenabteil zum Speisewagen entlanggegangen, wo sie zum Frühstück Eier mit Speck gegessen und allzu bitteren Kaffee getrunken hatten. Sir Stephen hatte sich ihr gegenübergesetzt. Die Eier waren fade; der Geruch von Zigaretten und das Schlingern des Zuges bewirkten bei O eine leichte Übelkeit. Aber als sich der vermeintliche Deutsche neben Sir Stephen setzte, war ihr weder der Blick, den er auf Os Lippen heftete, noch die Erinnerung an die Fügsamkeit, mit der sie ihn in der Nacht liebkost hatte, peinlich. Sie wußte nicht, was sie schützte, was sie dazu brachte, gleichmütig aus dem Fenster zu schauen, wo Wälder und Felder an ihr vorbeiglitten, und nach den Namen der Bahnhöfe zu spähen. Die Bäume und der Nebel verbargen die Häuser, die nicht unmittelbar an der Bahnstrecke lagen; große Stahlträger, fest in Zementsockeln verankert, hatten das Land neu abgesteckt; kaum sah man die elektrischen Drähte, die sie bis zum Horizont alle dreihundert Meter an den nächsten weiterreichten. In Villeneuve-Saint-Georges schlug Sir Stephen O vor, wieder in ihr Abteil zu gehen. Sein Nachbar sprang auf, schlug die Hacken zusammen und machte eine Verbeugung vor O. Ein plötzlicher Stoß des Zuges bewirkte, daß er das Gleichgewicht verlor und sich wieder hinsetzte, und O lachte laut auf. War sie erstaunt, als Sir Stephen - kaum daß sie wieder im Abteil war und nachdem er sich seit der Abreise nicht einen Augenblick um sie gekümmert hatte - sie auf die Koffer schob, die sich auf der Bank türmten, und ihren Plisseerock hochhob?

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