Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
russischen Wirren schreibt General Denikin pathetisch: "Am 1. September wurde General Kornilow verhaftet, am 4. September von der gleichen Provisorischen Regierung Bronstein-Trotzki in Freiheit gesetzt. Diese zwei Daten muß Rußland im Gedächtnis behalten." Entlassungen von Bol-schewiki gegen Bürgschaft dauerten während der nächsten Tage an. Die aus dem Gefängnis Befreiten verloren keine Zeit: die Massen warteten und riefen, die Partei brauchte Menschen.
Am Tage der Freilassung Trotzkis veröffentlichte Kerenski einen Erlaß, in welchem er eingestand, die Komitees hätten "der Regierungsmacht recht wesentliche Hilfe geleistet", gleichzeitig diesen Komitees aber befahl, die weitere Tätigkeit einzustellen. Sogar die Iswestja mußten zugeben, daß der Autor des Erlasses ein "recht schwaches Verständnis" für die Situation bewiesen habe. Die Konferenz der Bezirkssowjets Petrograds beschloß: "die revolutionären Organisationen zum Kampfe gegen die Konterrevolution nicht aufzulösen". Der Vorstoß von unten war so stark, daß das versöhnlerische Militärische Revolutionskomitee entschied, Kerenskis Verfügung nicht anzuerkennen, und seine Lokalorgane aufrief, "angesichts der fortdauernd besorgniserregenden Lage mit bisheriger Energie und Ausdauer zu arbeiten". Kerenski schwieg: etwas anderes zu tun blieb ihm auch nicht übrig.
Das allmächtige Oberhaupt des Direktoriums mußte bei jedem Schritt gewahr werden, daß die Situation sich gewandelt hatte, der Widerstand gewachsen war und man gezwungen sei, manches, wenigstens in Worten, zu ändern. Am 7. September gab Werschowski eine Erklärung an die Presse, das vor Kornilows Meuterei ausgearbeitete Programm zur Gesundung der Armee müsse im gegenwärtigen Augenblick verworfen werden, denn bei der "gegebenen psychischen Verfassung der Armee" würde es nur zu ihrer noch größeren Zersetzung führen." Zur Kennzeichnung der neuen Ära trat der Kriegsminister im Exekutivkomitee auf, man möge ohne Sorge sein: General Alexejew werde gehen und mit ihm alle, die an dem Kornilowaufstande so oder so beteiligt waren. Gesunde Prinzipien müßten der Armee eingeimpft werden "nicht mit Maschinengewehren und Nagajkas, sondern durch Suggerierung von Ideen des Rechts, der Gerechtigkeit und strenger Disziplin". Das roch ganz nach den Frühlingstagen der Revolution. Aber draußen war September, es nahte der Herbst. Alexejew wurde nach einigen Tagen wirklich abgesetzt und durch General Duchonin ersetzt: der Vorzug dieses Generals bestand darin, daß man ihn nicht kannte.
Als Entschädigung für die Zugeständnisse verlangten Kriegs- und Marineminister vom Exekutivkomitee sofortige Hilfe: die Offiziere gingen unter dem Damoklesschwert herum, am schlimmsten stehe die Sache bei der Baltischen Flotte, man müsse die Matrosen beschwichtigen. Nach langen Debatten wurde, wie üblich, beschlossen, zur Flotte eine Delegation zu schicken, wobei die Versöhnler darauf drängten, daß Bolschewiki, vor allem Trotzki, ihr angehören müßten: nur unter dieser Bedingung könne die Delegation auf Erfolg rechnen. "Wir lehnen entschieden jene Form der Zusammenarbeit mit der Regierung ab", erwiderte Trotzki, "die Zeretelli befürwortete ... Die Regierung verfolgt eine in den Wurzeln falsche, volksfeindliche und unkontrollierbare Politik; wenn aber diese Politik in eine Sackgasse gerät oder zu einer Katastrophe geführt hat, dann werden die revolutionären Organisationen mit der groben Arbeit beauftragt, die unabwendbaren Folgen herzulegen ... Eine der Aufgaben dieser Delegation besteht, nach Ihrer Formulierung, in der Aufdeckung von "dunklen Kräften" in den Garnisonen, das heißt von Provokateuren und Spionen ... Haben Sie es wirklich vergessen, daß ich selbst unter der Anklage des Paragraphen 108 stehe? ... Im Kampfe gegen Selbstjustiz gehen wir unseren eigenen Weg ... nicht Hand in Hand mit Staatsanwalt und Konterspionage, sondern als revolutionäre Partei, die zu überzeugen, zu organisieren und zu erziehen sucht."
Die Einberufung der Demokratischen Beratung war in den Tagen des Kornilowaufstandes beschlossen worden. Sie sollte noch einmal die Stärke der Demokratie zeigen, ihren Gegnern von rechts und links Achtung einflößen und -nicht zuletzt - dem ungebärdigen Kerenski Zügel anlegen. Die Versöhnler gedachten ernstlich, die Regierung vor Einberufung der Konstituierenden Versammlung irgendeiner improvisierten Vertretung unterzuordnen. Die Bourgeoisie verhielt sich zur Beratung von
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