Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
immerhin Anhäufungen bewaffneter Menschen, von denen die Mehrzahl bereits im Feuer gewesen. Alle Truppen verband eine gemeinsame Stimmung: so schnell wie möglich Kerenski stürzen, heimkehren und eine neue Bodenordnung einführen. So mußte die völlig in Auflösung befindliche Garnison in den Oktobertagen sich noch einmal zusammenschließen und eindrucksvoll mit den Waffen rasseln, ehe sie endgültig auseinanderstob.
Welche Macht stellten, vom militärischen Standpunkte gesehen, die Petrograder Arbeiter dar? Das ist die Frage nach der Roten Garde. Es ist nun an der Zeit, Ausführlicheres über sie zu sagen: ihr steht bevor, in den nächsten Tagen in die große historische Arena zu treten.
Mit ihren Traditionen in das Jahr 1905 zurückreichend, erlebte die Arbeitergarde ihre Wiedergeburt zusammen mit der Februarrevolution und teilte in der Folge deren Schicksalswandlungen. Kornilow, der damalige Oberbefehlshaber des Petrograder Militärbezirkes, behauptete, es seien in den Tagen des Sturzes der Monarchie aus den Artillerielagern dreißigtausend Revolver und vierzigtausend Gewehre weggeschwommen. Eine große Anzahl von Waffen geriet überdies in die Hände des Volkes bei Entwaffnung der Polizei durch befreundete Regimenter. Der Aufforderung, die Waffen a> zuliefern, kam niemand nach. Die Revolution lehrt die Flinte schätzen. Den organisierten Arbeitern fiel jedoch nur ein ganz geringer Teil dieses Gutes anheim.
In den ersten vier Monaten stand die Frage des Aufstandes überhaupt nicht vor den Arbeitern. Das demokratische Regime der Doppelherrschaft gab den Bolschewiki die Möglichkeit, in den Sowjets die Mehrheit zu erobern. Bewaffnete Arbeitermannschaften bildeten einen Bestandteil der demokratischen Miliz. Aber es war doch mehr Form als Inhalt. Die Flinte in der Hand des Arbeiters bedeutete ein ganz anderes historisches Prinzip als die gleiche Flinte in der Hand des Studenten.
Daß die Arbeiter im Besitze von Waffen waren, beunruhigte die besitzenden Klassen von Anfang an, da dies das Kräfteverhältnis in den Betrieben zusehends verschob. In Petrograd, wo der Staatsapparat, unterstützt vom ZentralExekutivkomitee, anfangs eine unbestrittene Macht darstellte, war die Arbeitermiliz noch nicht so bedrohlich fühlbar.
In den Industriebezirken der Provinz jedoch bedeutete die Festigung der Arbeitergarde eine Umwälzung aller Verhältnisse nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch in seiner weiteren Umgebung. Bewaffnete Arbeiter setzten Meister und Ingenieure ab, nahmen sogar Verhaftungen vor. Auf Beschluß von Fabrikversammlungen wurde den Rotgardisten nicht selten aus den Betriebskassen Löhnung gezahlt. Im Ural, mit seinen reichen Traditionen des Partisanenkampfes aus dem Jahre 1905, führten die Mannschaften unter Leitung der alten Kämpfer Ordnung ein. Bewaffnete Arbeiter liquidierten fast unbemerkt die offizielle Macht und ersetzten sie durch Organe der Sowjets. Durch die Sabotage seitens der Besitzer und Administratoren fiel den Arbeitern der Schutz der Betriebe zu; der Maschinen, Lager, Kohle-und Rohstoffvorräte. Die Rollen hatten gewechselt. Der Arbeiter hielt fest das Gewehr in der Hand zur Verteidigung der Fabrik, in der er die Quelle seiner Macht sah. So bildeten sich in Betrieben und Bezirken Elemente der Arbeite r-diktatur heraus, bevor noch das Proletariat in seiner Gesamtheit die Macht im Staate erobert hatte.
Wie stets die Ängste der Besitzenden widerspiegelnd, wirkten die Versöhnler mit aller Kraft der Arbeiterbewaffnung in den Hauptstädten entgegen und reduzierten sie auf ein Minimum. Nach Minitschjew bestanden die gesamten Waffen des Narwaer Bezirkes "aus etwa fünfzehn Gewehren und einigen Revolvern". In der Stadt häuften sich unterdessen Gewaltakte und Plünderungen. Von überall trafen beunruhigende Gerüchte ein, Vorboten neuer Erschütterungen. Am Vorabend der Julidemonstration hatte man erwartet, daß der Bezirk in Brand gesteckt werden würde. Die Arbeiter suchten nach Waffen, klopften an alle Türen, brachen sie zuweilen auch auf.
Von der Demonstration des 3. Juli hatten die Putilower eine Trophäe herangeschleppt: ein Maschinengewehr und fünf Kisten Munitionsgürtel. "Wir freuten uns wie Kinder", erzählt Minitschjew. Einzelne Betriebe waren besser bewaffnet. Nach Litschkows Worten waren die Arbeiter seiner Fabrik im Besitze von achtzig Gewehren und zwanzig großen Revolvern. Das war schon ein Reichtum! Durch den Stab der Roten Garde erhielten sie zwei
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