Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
konnte ich sowieso nie nachvollziehen. Er konnte vielleicht ganz nett schreiben, aber sonst hat er auch nur mit Wasser gekocht. Und dass er sich B-Savarin nennt, spricht ja auch Bände. Brillat-Savarin! Ganz frei von Größenwahn war der Mann offensichtlich nicht. Jedenfalls habe ich seine Seite nach dem Vorfall in der Ulmenschenke regelmäßig angeklickt und festgestellt, dass er noch ein paar Mal solche auffälligen Schwenks in der Beurteilung von Läden, Produkten, Restaurants vollzogen hat, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Irgendwie sehr komisch, oder?«
Georg nickte.
»Das ist hochinteressant, in der Tat! Vielen Dank, Carola.«
»Da nich für. Eines möchte ich aber noch klarstellen: Meine Restaurantkritiken sind auf jeden Fall nicht gekauft. Ich bin nämlich unbestechlich!«
»Mit der richtigen Süßspeise vielleicht schon, mein Täubchen!«
Klas-Dieter stellte eine Glasschüssel mit einer kräftig roséfarbenen Creme auf den Tisch, die er mit hübschen Sahneröschen verziert hatte. Carola warf ihm eine Kusshand zu.
»Jetzt kommt nämlich das Dessert. Meine Interpretation des errötenden Mädchens.«
Der süßsäuerliche, leicht herbe Geschmack nach Preiselbeeren war erfrischend und ein guter Abschluss dieses gehaltvollen Essens. Auch wenn seine Gastgeber gern noch das eine oder andere Gläschen mit ihm geleert hätten, machte sich Georg bald auf den Heimweg. Schließlich musste er noch seine Torte backen.
Er genoss den Fußmarsch durch die kalte Herbstnacht. Aus seinem Briefkasten ragte der Werbezettel irgendeiner Drogeriekette, ansonsten fand sich nur noch ein Brief seiner Bank darin. In Hagebuschs Kasten steckte ebenfalls die Drogeriewerbung. Haben wir uns eigentlich schon um diesen Briefkasten gekümmert, fragte sich Angermüller plötzlich? Der passende Schlüssel befand sich bestimmt bei den sichergestellten Wohnungsschlüsseln. Wenn das noch nicht passiert war, musste er gleich morgen früh jemanden hierher schicken, beschloss der Kriminalhauptkommissar.
An ihrem Geburtstag erlaubte sich Astrid, die sonst die Disziplin in Person war, was Essen anbetraf, auch einmal eine echte kulinarische Ausschweifung. Und das war Georgs weiße Mandeltorte allemal: Auf dünnem, knusprigem Mürbeteig, bestrichen mit Johannisbeergelee, ruhte der Mandelboden mit einer zweifachen Buttercremefüllung, umhüllt von einem rumhaltigen Zuckerguss – ein süßer, köstlicher Genuss! Die frische Luft hatte Georg wieder munter gemacht. Er machte sich sofort ans Werk und bald war seine Küche vom Kuchenduft erfüllt. Zufrieden ging er zu Bett. Füllung und Guss würde er noch am Morgen fertigstellen. Schon jetzt freute er sich auf Astrids glückliches Gesicht.
Kapitel VI
Zum Frühstück bereitete sich Angermüller nur einen Tee. Von dem schmackhaften, aber sehr gehaltvollen Essen bei seinen Freunden fühlte er sich immer noch satt. Er hatte gut, aber ziemlich kurz geschlafen, weil er viel früher als sonst aufgestanden war. Denn zum einen musste er seine Mandeltorte fertigmachen, zum anderen war er sehr neugierig auf die B-Savarin-Seite im Internet und wollte sich diese im Büro erst einmal in Ruhe anschauen. Eine fröhliche Stimme aus dem Radio verkündete, dass es heute mit bis zu zehn Grad richtig warm würde für diesen Novembertag. Seit er allein wohnte, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, das kleine Transistorradio am Morgen einzuschalten und es in Bad und Küche mitzunehmen. Zwar war es ihm etwas peinlich, dies zuzugeben, aber die Geräuschkulisse tat ihm gut. Sie schuf eine angenehmere, wohnlichere Atmosphäre in den Räumen, die noch nicht ganz die seinen waren. Wahrscheinlich brauchte er einfach etwas Zeit, um sich an das Alleinleben zu gewöhnen. Vielleicht war er auch gar nicht dafür gemacht, wer weiß. Wieder einmal tief in diese Gedanken versponnen, strich er liebevoll den nach Rum duftenden Guss auf die Torte und verzierte sie noch mit ganzen Mandelkernen.
Es war wirklich viel milder als die Tage zuvor, merkte Angermüller, als er kurz darauf in seinem Lodenmantel vor die Haustür trat. Der Preis dafür war lübsches Schmuddelwetter, wie es leider häufig hier oben herrschte, besonders im Winterhalbjahr. Die immergrüne Hecke im Vorgarten, der schmiedeeiserne Zaun, das Gartentor und die Gehwegplatten, alles glänzte vor Feuchtigkeit. Der Himmel darüber war grau und schwer und schien noch so einiges an Wasser bereitzuhalten. Seinen Vorsatz, um der Fitness willen stets mit dem Fahrrad
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